Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Stahldorf wieder frei und der Mikromechanische kann die Rebellen seinerseits überholen.« Es war wie bei einem Schachspiel. Allerdings waren nicht nur die Züge entscheidend, auch die Zeit spielte eine Rolle. Der Mikromechanische musste den richtigen Zeitpunkt treffen, sonst ging die Rechnung nicht auf.
»Du sprichst viel mit dir selbst, Martin. Ist das dort üblich, wo du herkommst?« Eliane leuchtete ihm mit einer kleinen Laterne ins Gesicht. Sie stand vor ihm und schien wohlauf zu sein. Nach einer ersten Schrecksekunde fiel ihm ein Stein vom Herzen.
»Schön, dich zu sehen. Hast du den Sturz gut überstanden und wie geht es dem Fuß, aus dem ich den Lagerfresser gezogen habe?«
»Der ist so gut wie neu. Du scheinst den Absprung auch unbeschadet überstanden zu haben.« Täuschte er sich oder hörte er tatsächlich eine leise Besorgnis in ihrer Stimme? Seine Illusion wurde durch ihr Lachen zerstört. Wahrscheinlich würde es ihr nichts ausmachen, wenn er zerschmettert auf den Gleisen liegen würde, dachte er resigniert.
»Wie geht es jetzt weiter? Gehen wir zurück oder marschieren wir vorwärts? Und was ist mit den mechanischen Rebellen? Sie werden doch früher oder später auf der Suche nach unserer Lokomotive diese Strecke abfahren.«
»Das glaube ich nicht. Sie sind nicht dumm. Sie wissen, dass der Mikromechanische darauf spekuliert und sie dann via Stahldorf überholen will. Ich denke, sie werden bei der zweiten Weiche einfach auf ihn warten.«
»Dann fährt er geradewegs in die Falle.«
»Natürlich nicht. Auch der Mikromechanische kennt das Spiel.«
»Was will er denn tun? Der Weg nach Orb ist versperrt. Und wieso sind wir überhaupt abgesprungen? Wir hätten genauso gut auf der Lok bleiben können. Es wäre wesentlich bequemer gewesen und schließlich auf das Gleiche herausgekommen.«
»Du vergisst die Schremp.«
»Aber was jetzt? Was wird der Mikromechanische tun?«
»Er wird sich etwas ausdenken. Er ist zwar winzig klein, gegenüber den Blechdosen auf der Siebenhunderter, aber in seinem Gehirnkasten ticken Nanoräder.«
»Und wir? Was werden wir tun?«
»Ich dachte, du wüsstest das.« Sie wieherte wieder wie ein Pferd. Eliane schien einen seltsamen Humor zu besitzen.
»Ich denke, wir sollten versuchen, Stahldorf zu erreichen. Dort befindet sich sicher ein Bahnhof und es gibt vielleicht eine Möglichkeit auf anderem Weg als durch den Bahntunnel nach Stonehenge zu gelangen.«
Im Schein der kleinen Laterne, die sie in der Hand hielt, sah er, wie sie die Lippen verzog. Es war kein Grinsen und kein Lächeln, sondern ein Ausdruck, den er nicht zu deuten vermochte. Welch seltsames Wesen! Schon bei Frauen hatte er seine liebe Mühe, doch halb mechanische Frauen schienen noch weitaus komplizierter zu sein.
»Stahldorf hat zwar einen Bahnhof, doch meines Wissens keine Verbindung an die Oberfläche. Die Menschen dort sehen das Licht der beiden Schwestern und ihres kleinen Bruders nie.«
Martin fragte sich, was es mit den Schwestern auf sich hatte. Waren damit Sonnen gemeint. Hatte diese seltsame Welt vielleicht gar zwei davon und war mit ihrem kleinen Bruder der Mond gemeint?
»Wir machen es anders«, erklärte Eliane. »Wir spannen den Mechanischen die Siebenhunderter aus.«
»Was? Du willst den Robotern ihre Lokomotive stehlen?«
»Wie ich sehe, wacht dein Verstand langsam aus seinem Schlaf auf. Komm, machen wir uns auf den Weg! Die zweite Weiche ist nicht mehr weit weg.«
»Verrückte Welt«, murmelte Martin und trotte hinter Eliane her, deren Licht das Trassee mehr schlecht als recht beleuchtete. Er konzentrierte sich ganz darauf, auf dem groben Schotter nicht zu stolpern. So bemerkte er auch nicht wie sich Eliane bückte und etwas vom Boden auflas. Erst als er eine bekannte Stimme hörte, wurde er aufmerksam.
»Jetzt sind wir wieder komplett«, sagte der Mikromechanische aus der Hand Elianes. Martin hielt verblüfft an.
»Du bist es, mein kleiner Freund. Bist du auch abgesprungen? Doch wer fährt jetzt die Lokomotive und was ist mit den Schremp?
»Die sind geradewegs auf dem Weg in die Katastrophe. Nur wissen sie das nicht. Ich habe ihnen einen gehörigen Bären aufgebunden und gesagt, wir würden unsere Verfolger via Stahldorf überholen. Dann bin ich unter die Kessel geklettert, angeblich, um sie zu inspizieren. Die 411er fährt jetzt selbstständig und wird dabei immer schneller, denn es geht abwärts Richtung Giftseetunnel. Wenn die Schremp nicht vorher abspringen, werden sie
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