Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Martin.
»Wir gehen bis zur Weiche und marschieren dann nach Stahldorf«, entschied Eliane.
»Wir könnten doch direkt nach Stonehenge marschieren«, schlug Martin vor.
»Das ist viel zu weit, das schaffen wir nie. Nein, es gibt keine Alternative. Vielleicht finden wir in Stahldorf eine andere Lokomotive.«
Schon bis zur Weiche war es weit. Als sie endlich dort ankamen, hatte Martin das Gefühl, sie seien tagelang unterwegs gewesen. Er war müde und seine Füße schmerzten. Der grobe Schotter des Bahntrassees war nicht die passende Unterlage für lange Märsche. Bei der Weiche verbreiterte sich der Tunnel zu einer Halle. Rundum an den Wänden brannten kleine grüne Lichter und in ihrem Schein war die Tunnelröhre, die von Stahldorf her kam, gut zu erkennen.
»Wir sollten hier nicht verweilen«, sagte Eliane. »Die Mechanischen kommen vielleicht bald zurück.«
»Alles ist möglich«, entgegnete der kleine Roboter in ihrer Hand. »Vielleicht drehen sie nochmals eine Runde und kommen uns von Stahldorf her entgegen.«
Diese Möglichkeit schien Eliane nicht zu gefallen. Sie blieb stehen und schien zu überlegen.
»So hätten sie uns vor den Scheinwerfern und könnten uns gut ausmachen«, fuhr der Mikromechanische fort.
In diesem Augenblick tauchte im Tunnel nach Stahldorf ein Licht auf. Martin erschrak. War das bereits die Lokomotive ihrer Verfolger? Das konnte nicht sein. So schnell konnten sie nicht sein.
»Es ist eine Draisine«, sagte der kleine Roboter. »Ein handbetriebener Schienenwagen. Eine ziemlich mühsame Art, sich fortzubewegen.«
Das Licht kam langsam näher und dann schälten sich die Umrisse eines Fahrzeugs aus der Dunkelheit. Die Draisine hielt exakt bei der Weiche. Sie war nicht mehr als ein Fahrgestell mit einem riesigen Hamsterrad oben drauf, ein radförmiger Käfig, der sich um die eigene Achse drehte, wenn jemand im Rad drin lief. Vorne und hinten auf dem Fahrgestell war ein Sitz montiert und davor jeweils ein großes Handrad – vermutlich zum Bremsen. Das Hamsterrad war über eine Zahnraduntersetzung mit einer Achse verbunden. Jetzt, da die Draisine stillstand, drehte sich auch das Hamsterrad nicht mehr. Im Schein der Laternen, die links und rechts am Gefährt angebracht waren, erkannte Martin eine Frau. Sie blickte stumm zu ihnen herüber und atmete schwer. Ein Mann sprang vom Sitz, der in Fahrtrichtung lag, und kam mit federnden Schritten auf sie zu. Er war schlank und sportlich und im länglichen Gesicht trug er einen kleinen neckischen Ziegenbart. Auf dem Kopf thronte eine eng anliegende Lederkappe mit hochgeschobener Pilotenbrille. Der Mann trug karierte Knickerbockers und eine lederne Jacke, wie sie die Bomberpiloten im Zweiten Weltkrieg getragen hatten – auf jeden Fall in den Filmen, die Martin gesehen hatte. Er lächelte freundlich, als er ihnen zur Begrüßung die Hände schüttelte, und sah dabei aus wie ein Kaninchen.
»Ich heiße Thomas«, stellte er sich vor, »und ich bin gekommen, um die Weiche zu inspizieren. Seid ihr für das Problem verantwortlich, das mir gemeldet wurde?«
»Wir haben kein Problem mit der Weiche«, sagte Eliane. »Wir sind übrigens Martin und Eliane, und der Mikromechanische in meiner Hand ist harmlos – sagt er jedenfalls.
»Wir haben bestimmt nichts angerührt«, bekräftigte Martin. »Wird denn diese Bahnlinie noch benutzt? Ich dachte, sie sei stillgelegt.«
»Die Linie Stahldorf Stonehenge ist noch in Betrieb«, erklärte Thomas, »und vor kurzem ist sogar ein Zug aus der anderen Richtung gekommen, vom Giftseetunnel her.«
»Hat er denn in Stahldorf angehalten?«, wollte Eliane wissen.
»Nein, er ist mit vollem Karacho durchgerauscht. Wenn ich das Signal der Giftsee-Weiche übersehen hätte, hätte er die Draisine plattgemacht. Ich hatte gerade Zeit, sie auf ein Abstellgleis zu manövrieren.«
»Könntest du uns nicht nach Stahldorf mitnehmen? Wir haben den Zug verpasst.«
Martin hätte fast laut heraus gelacht, als er Elianes dreiste Lüge hörte. Doch Thomas fand daran nichts Ungewöhnliches.
»Kommt, steigt auf. Es ist nicht sehr gemütlich und einer von euch wird stehen müssen. Aber wir sollten es in einer halben Stunde schaffen, wenn Alexandria gut drauf ist.«
»Ich heiße Alexandra und nicht Alexandria«, keifte die Frau zwischen den Gitterstäben des Hamsterrades. »Und ich bin heute gar nicht gut drauf. Von mir aus könnt ihr alle zur Hölle fahren.« Ihr rundes hübsches Gesicht mit den großen blauen Augen war verschwitzt
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