Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Deck schruppte und dabei Planken heraus riss und Aufbauten zerfetzte. Ein Pirat, der sich bisher an das Schiff geklammert hatte, fiel auf den Antriebszylinder und wurde entzwei gerissen. Seine Gedärme klatschten an das Seitenfenster des Eisseglers. Martin wurde schlecht.
»Hör bitte auf, Eliane!«, rief er. »Du tötest sie alle.«
»Nur tote Piraten sind gute Piraten«, sagte sie und steuerte den Schraubendampfer gegen den Wind in Richtung Kessel. »Wenn du mit flennen fertig bist, kannst du das Steuer übernehmen. Ich werde mal nach hinten gehen und die Maschine ansehen. Wir haben kaum noch Dampf, der Dampfer ist auf Schleichfahrt.«
In der Tat waren sie langsamer geworden. Die Maschine schien beschädigt zu sein.
»Die Piraten können dir dankbar sein«, murrte Eliane. »Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich sie alle fertig gemacht. Und dann hätten wir das Schiff geplündert und würden jetzt über Waffen verfügen.«
Martin konnte darauf nicht antworten. Er hatte einen Kloß im Hals. Schwankend und mit zitternden Händen übernahm er die Steuerung und blickte durch das blutverschmierte Fenster in Fahrtrichtung. Bisher waren ihm seine Abenteuer in der neuen Welt wie ein Spiel vorgekommen, unwirklich und mehr wie ein Film, in dem er selbst mitspielte. Doch jetzt hatte ihn die Wirklichkeit endgültig eingeholt und ihm mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass er in einer Welt gelandet war, in der er um sein Überleben kämpfen musste. Die blutige Auseinandersetzung mit den Piraten hatte ihm aber auch nochmals bewusst gemacht, wie sehr sich die Regeln dieser Welt von der der Erde unterschieden. Martin hatte zum ersten Mal richtig Angst.
Als Eliane zurückkam, war ihre Mine düster.
»Wir haben ein Loch im Kessel, der Kamin ist weg und die Turbinenschraube hat offenbar auch etwas abbekommen. Vermutlich durch die Überhitzung.«
Sein technisches Interesse lenkte Martin für einen Augenblick von seinen Ängsten und Sorgen ab.
»Turbinenschraube? Unsere Maschine hat keinen Kolbenantrieb, sondern ist eine Dampfturbine?«
»Es ist ein Schraubenmotor. Der Dampf wird in einer Turbinenschraube entspannt, bevor er in einem Kondensator wieder in Wasser verwandelt und dieses in den Kessel zurückgeführt wird.«
Offenbar war die Technik hier doch nicht so rückständig, wie es manchmal den Anschein hatte. Er durfte nicht den Fehler machen und glauben, ohne Elektronik sei keine Hochtechnologie möglich.
DER KURIER
Mühsam quälte sich der lädierte Schraubendampfer gegen den Wind über die Dünen. Immerhin bewegte er sich bei der langsamen Geschwindigkeit viel ruhiger als vorher.
»Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Kurs sind?«, fragte Martin.
»Ja, wenn du genau hinsiehst, dann erkennst du noch ein paar Spuren unserer Fahrt. Auch der Raddampfer der Piraten hat eine Spur hinterlassen, die der Wind bisher noch nicht verwischen konnte.«
»Dann werden wir also wieder auf unser Biwak stoßen? Ich bin hundemüde und habe nichts dagegen, auch noch eine dritte Nacht im Zelt zu verbringen. Genügend Karbonfluxer haben wir doch, nicht wahr?«
»Das schon, der Schraubendampfer verfügt noch über einen großen Vorrat, doch wir haben noch ein anderes Problem. Du hast schon lange nichts mehr gegessen, Martin. Der Tee, den ich zubereitet habe, unterdrückt zwar das Hungergefühl, doch er nährt deinen Körper nicht.«
Martin schaute seine Gefährtin nachdenklich an. Wie konnte sie einerseits so skrupellos sein wie eben im Kampf, und andererseits so fürsorglich zu ihm? Das verstand er nicht. Sein Frauenbild war ein anderes und vor allem durch seine verstorbene Mutter und seine Stiefmutter Isabelle geprägt worden. Beide waren keine Kriegerinnen gewesen.
Gerade hatten sie wieder den Kamm einer Schneedüne durchpflügt, da entdeckten sie beide gleichzeitig eine Gestalt, die auf einem der nächsten Dünenkämme stand – einsam und allein, ohne Schiff in der Nähe, wie ein Wanderer in der Wüste.
»Es ist der Mechanische, den ich über Bord geworfen habe«, erkannte Eliane.
»Ob die Piraten ihn dort hingestellt haben?«
Eliane lachte wiehernd.
»Kaum, ich glaube auch nicht, dass er nach der Kollision mit dem Segler in diese Position geraten ist. Nein, die Blechbüchse war nur scheintot und ist offenbar zum Leben erwacht. Wir werden ihn mal in Augenschein nehmen.« Sie steuerte den Schraubendampfer auf den Blechmann zu.
»Ist das nicht zu gefährlich? Vielleicht hat er auch den Virus der
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