Die Reise Nach Petuschki
sagen: ›Herr, nun
lassest du deinen Diener in Frieden fahren ...‹ Und der Erzengel Gabriel wird sagen: ›Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden, du bist gebenedeit unter den Weibern ...‹ Und Doktor Faust wird zum Augenblick sagen: »Verweile doch! du bist so schön‹. Und alle, deren Name im Buch des Lebens geschrieben steht, werden zu singen anheben: »Frohlocke, Jesaja!‹ Diogenes wird seine Lampe löschen, und es werden Güte und Schönheit herrschen. Alles wird gut sein, und alle werden gut sein, und außer Güte und Schönheit wird es nichts geben, und es werden sich im Kuß vereinigen ...«
»Im Kuß vereinigen ...?« Semjonytsch zappelte vor Ungeduld.
»Ja. Der Peiniger und sein Opfer werden sich im Kuß vereinigen. Das Böse, die Absicht und die Berechnung werden aus dem Herzen entweichen, und die Frau »Die Frau!!« Semjonytsch zitterte vor Erregung. »Was, was ist mit der Frau?«
»Die Frau des Orients wird ihren Schleier abwerfen, für immer wird die unterdrückte Frau des Orients ihren Schleier abwerfen! Und es wird sich niederlegen . ..« »Niederlegen?!!!« Semjonytsch zuckte und schlotterte am ganzen Leib.
»Ja. Es wird sich niederlegen der Wolf neben dem Lamm, und es wird keine Träne mehr vergossen werden, und die Kavaliere werden sich nach Herzenlust ihre Damen aussuchen und
»O-o-o-oh!« stöhnte Semjonytsch. »Wie lange noch? wann kommt sie endlich...?«
Plötzlich verrenkte er die Hände, wie eine Zigeunertänzerin, begann hastig an seiner Kleidung herumzufummeln und sich Dienstrock, Diensthose und alles bis auf seine intimste Intimität auszuziehen...
So betrunken ich war, das sah ich doch mit Erstaunen. Die Passagiere, die nüchternen, sprangen beinahe von ihren Plätzen, und in Dutzenden von Augen stand ein riesiges »Oho!«. Sie, die Passagiere, hatten das alles nicht so verstanden, wie es zu verstehen war ...
Ich muß nämlich darauf hinweisen, daß die Homosexualität in unserem Land zwar endgültig abgeschafft ist, aber doch noch nicht ganz. Genauer: ganz, aber nicht gar. Noch genauer: eigentlich ganz und gar, aber nicht vollkommen. Was haben die Passagiere in diesem Moment wohl im Kopf? Einzig und allein die Homosexualität. Sicher, sie haben auch die Araber im Kopf, Israel, die Golanhöhen, Ben Gurion und Moshe Dayan. Aber wenn man nun Moshe Dayan von den Golanhöhen vertreiben und die Araber mit den Juden aussöhnen würde, was bliebe dann in den Köpfen der Leute? Nichts als Homosexualität.
Stellen wir uns mal vor, die Leute sitzen beim Fernsehen: General de Gaulle und Georges Pompidou treffen sich auf einem diplomatischen Empfang. Beide lächeln und drücken sich die Hand. Klar. Und das Publikum schreit »Oho! sieh dir General de Gaulle an!« oder »Oho! sieh dir Georges Pompidou an!«
Genauso sahen sie uns jetzt an. Jedem stand in seinen runden Augen dieses »Oho!« geschrieben.
»Semjonytsch! Semjonytsch!« Ich packte ihn und zog ihn auf die Plattform hinaus. »Man sieht uns doch zu! Komm zu dir! Komm, vorwärts!«
Er war furchtbar schwer, aufgeweicht und schwammig. Ich brachte ihn mit Mühe und Not bis zur Plattform und lehnte ihn an die Tür ...
»Wenja! Sag, die Frau des Orients, wenn sie den Schleier abnimmt, wird darunter noch irgendwas sein? Wird sie unter dem Schleier noch etwas anhaben?«
Ich kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Der Zug blieb wie angewurzelt stehen, wir waren in Orechowo-Sujewo. Die Tür öffnete sich automatisch ...
Orechowo-Sujewo
Der Oberschaffner Semjonytsch, dessen Interesse ich zum tausendundeintenmal geweckt hatte, flog halb lebendig und halb nackt auf den Bahnsteig hinaus und schlug mit dem Kopf am Geländer auf. Zwei oder drei Sekunden blieb er noch auf den Beinen stehen, nachdenklich und schwankend, wie ein Schilfrohr im Wind, und dann brach er vor den Füßen der aussteigenden Passagiere zusammen. Alle Strafen für fahrscheinlose Fahrten brachen aus seinem Schädel hervor und zerflossen am Bahnsteig ...
All dies habe ich ganz deutlich gesehen und bezeuge es vor der ›. Aber alles andere habe ich nicht mehr gesehen und kann deshalb auch nichts bezeugen. Mit einem Zipfel meines Bewußtseins, mit einem ganz winzigen Zipfel, erinnere ich mich daran, wie die Lawine der in Orechowo aussteigenden Passagiere mich überrollte und in sich aufsaugte, wie ekelhafte Spucke, die man im Mund sammelt, um sie am Bahnsteig von Orechowo auszuspucken. Nur mit dem Ausspucken klappte es einfach nicht, weil die einsteigenden Passagiere
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