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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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den Himmel, warteten auf die norwegischen Bomben, auf die Öffnung der Geschäfte und die Intervention, und stellten sich vor, wie erfreut Wladislaw Gomulka sein und wie sich Josef Cyrankiewicz die Haare raufen wird ...
    Auch der Gefangene, der ehemalige Vorsitzende des Landwirtschaftssowjets, Anatoly Iwanytsch, konnte nicht schlafen. Er heulte in seiner Scheune wie ein ausgestoßener Hund: »Jungs! Heißt das alles, daß ihr mir morgen früh nicht einmal was zu trinken anbieten wollt... ?« »Aha, danach steht dir der Sinn! Bedank dich lieber, daß wir bereit sind, dich entsprechend der Genfer Konvention zu füttern! ...« »Was soll das denn sein?«
    »Das wirst du schon noch merken. Wenn du erst mal am Krückstock daherkommst, hört sich die Herumtreiberei von allein auf.«

Krutoje — Woinowo
    Morgens, noch vor Öffnung der Geschäfte, fand ein Plenum statt. Es war ein erweitertes, revolutionäres Plenum. Doch da unsere ganzen vier Plenums erweitert und revolutionär waren, entschlossen wir uns, sie zu numerieren, damit sie nicht verwechselt werden konnten: Erstes Plenum, Zweites Plenum, Drittes Plenum und Viertes Plenum. Das Erste Plenum diente einzig und allein der Wahl des Präsidenten, das heißt, meiner Wahl zum Präsidenten. Dazu brauchten wir anderthalb bis zwei Minuten, nicht mehr. Die ganze restliche Zeit verschlang eine rein spekulative Frage: Wer würde das Geschäft früher öffnen, Tante Mascha in Andrejewskoje oder Tante Schura in Polomy?
    Ich saß in meinem Präsidium, hörte zu, wie sie diskutierten, und dachte: Diskussionen sind auf jeden Fall notwendig, aber viel notwendiger sind Dekrete. Warum vergessen wir das, was jede Revolution krönt, nämlich das »Dekret«? Zum Beispiel ein Dekret, das Tante Schura in Polomy vorschreibt, das Geschäft morgens um sechs zu öffnen. Was könnte einfacher sein? Schließlich haben wir die Macht und können Tante Schura befehlen, das Geschäft morgens um sechs zu öffnen, statt um neun Uhr dreißig.
    Wieso bin ich nicht schon längst auf diese Idee gekommen! ...
    Oder zum Beispiel ein Dekret, demzufolge alles Land im Bezirk von Petuschki in den Besitz des Volkes überzugehen hat, einschließlich aller Nutzflächen und beweglichen Güter, einschließlich aller alkoholischen Getränke, und zwar ohne jede Entschädigung. Oder so ein Dekret: die Zeiger der Uhren sind zu verstellen, zwei Stunden vor oder anderthalb zurück, ganz egal, jedenfalls zu verstellen. Dann müßte noch der Beschluß gefaßt werden, wonach das Wort »Teufel« wieder mit »D« geschrieben und irgendein Buchstabe des Alphabets vereinfacht werden muß. Es wäre nur noch zu überlegen, welcher. Und zu guter Letzt müßte man Tante Mascha in Andrejewskoje befehlen, das Geschäft um fünf Uhr dreißig zu öffnen, statt um neun.
    So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, daß ich ganz konfus und traurig davon wurde. Ich ließ Tichonow in die Couloirs rufen, trank mit ihm ein Glas Kümmelschnaps und sagte:
    »Hör mal, Kanzler!«
    »Was willst du?«
    »Ach, nichts. Ein Scheißkanzler bist du, das ist es.«
    »Such dir einen besseren«, erwiderte Tichonow beleidigt. »Darum geht es nicht, Wadja. Es geht darum, daß du, wenn du ein guter Kanzler sein willst, dich hinsetzen und Dekrete schreiben mußt. Trink noch einen Schluck, und dann setz dich hin und schreib. Ich habe übrigens gehört, daß du dich nicht beherrschen konntest und Anatolij Iwanytsch in den Schenkel gezwickt hast. Was soll das? Willst du den Terror einführen?«
    »Naja ... nur ein bißchen ...«
    »Welche Art Terror willst du denn einführen? den Weißen?«
    »Ja, den Weißen.«
    »Das bringt nichts, Wadja. Aber lassen wir das jetzt, wir haben andere Sorgen. Zuerst müssen wir ein Dekret schreiben, wenigstens ein einziges, wenigstens ein ganz langweiliges ... Haben wir Papier und Tinte? Setz dich hin und schreib. Danach trinken wir was und geben die Erklärung der Rechte ab. Und erst dann können wir mit dem Terror anfangen. Anschließend trinken wir noch was und dann heißt es lernen, lernen und wieder lernen ...«
    Tichonow schrieb zwei Worte, trank sein Glas leer und seufzte:
    »Tja-a-a... mit dem Terror habe ich mich vergaloppiert ... Doch Fehler sind in unserer Sache unvermeidlich, weil das alles unerhört neu ist, und Präzedenzfälle hat es nie gegeben, kann man sagen ... Naja, es hat schon Präzedenzfälle gegeben, aber
    »Von wegen Präzedenzfälle! Das war doch nur Humbug. Ein ›Hummelflug‹, Spielereien

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