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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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Socken, in denen ich in meiner Heimat herumgelaufen bin, ja, die haben wirklich gerochen. Aber vor meiner Abreise habe ich frische angezogen, denn im Menschen muß alles schön sein, die Seele, die Gedanken und ...‹
    Aber er wollte überhaupt nicht zuhören. Er ging ins Britische Oberhaus und verkündete dort: ›My Lords! Hinter dieser Tür steht ein verkommenes Subjekt. Er kommt aus dem verschneiten Rußland, scheint aber gar nicht sehr betrunken zu sein. Was soll ich mit ihm machen, mit diesem Jammerlappen? Soll ich diese Vogelscheuche engagieren? Oder soll ich diesem Schreckgespenst kein Engagement geben?‹ Die Lords begutachteten mich durch ihr Monokel und sagten: »Versuch's doch mal, William! Du könntest ihn als Ausstellungsstück hernehmen. Dieser windige Scheißer läßt sich in jedes Interieur einfügen.‹ Da ergriff die Königin von England das Wort. Sie hob die Hand und rief:
    »Kontrolleure! Kontrolleure!...‹
    Ein Aufschrei ging durch das ganze Abteil, schwoll und explodierte: »Die Kontrolleure!!!«
    Meine Geschichte wurde an der interessantesten Stelle unterbrochen. Doch nicht nur sie. Der Schlummer des besoffenen Schnurrbarts, der Schlaf des Dekabristen — alles wurde auf halber Strecke unterbrochen. Der alte Mitritsch kam zu sich, tränenüberströmt, und der junge beglückte alle mit einem pfeifenden Gähnen, das in Lachen überging und mit einer Defäkation endete. Nur die Frau mit dem tragischen Schicksal hatte sich mit der Baskenmütze die ausgeschlagenen Zähne bedeckt und schlief wie eine Fata Morgana ...
    Im Grunde genommen hat auf der Strecke nach Petuschki keiner Angst vor den Kontrolleuren, weil alle ohne Fahrschein sind. Wenn irgendein Abtrünniger im Suff aus Versehen einen Fahrschein gekauft hat, ist es ihm natürlich furchtbar peinlich, wenn die Kontrolleure kommen. Wenn sie ihn nach dem Fahrschein fragen, kann er niemand in die Augen sehen, nicht dem Schaffner, nicht den Passagieren, er möchte am liebsten im Erdboden versinken.
    Der Schaffner betrachtet seinen Fahrschein voller Abscheu und wirft dem Dreckskerl vernichtende Blicke zu. Die Passagiere sehen alle auf den »Schwarzfahrer« mit großen, schönen Augen, als wollten sie sagen: »Schlag die Augen nieder, du Schweinehund, du gewissenloser!« Und dem Schaffner sehen sie noch entschiedener in die Augen: »Schau uns an, so sind wir, uns kannst du nichts vorwerfen. Komm her zu uns, Semjonytsch, wir werden dich nicht enttäuschen ...«
    Bis zu dem Zeitpunkt, als Semjonytsch Oberschaffner wurde, hatte alles ganz anders ausgesehen: die Fahrscheinlosen jagte man damals in die Reservate, wie die Indianer, schlug ihnen den Brockhaus-Jefron über den Schädel, kassierte die Strafe und dann raus aus dem Zug. In jenen Tagen rannten sie in panischen Haufen durch die Wagen, um sich vor den Kontrolleuren zu retten, und zogen auch die mit sich, die einen Fahrschein besaßen. Einmal rannten zwei kleine Jungs, von der allgemeinen Panik ergriffen, zusammen mit der ganzen Herde davon und wurden vor meinen Augen zu Tode getrampelt. Sie blieben so im Durchgang liegen mit ihren Fahrscheinen in den blauen Händen ...
    Der Oberschaffner Semjonytsch veränderte alles: er schaffte sämtliche Strafen und Reservate ab. Er machte .das einfacher: er nahm von jedem Fahrscheinlosen ein Gramm Wodka pro Kilometer. In ganz Rußland nimmt das Fahrerpersonal von den Schwarzfahrern eine Kopeke pro Kilometer, aber Semjonytsch machte das anderthalbmal billiger: ein Gramm pro Kilometer. Wenn man zum Beispiel von Tschuchlinka nach Ussad fährt, das sind neunzig Kilometer, schenkt man Semjonytsch neunzig Gramm ein und fährt anschließend völlig ungestört weiter, hingeflackt auf seine Bank wie ein Pascha.
    Nun, die Neueinführung von Semjonytsch hatte die Verbindung zwischen Schaffner und breiter Masse gestärkt, hatte die Verbindung verbilligt, vereinfacht und humanisiert. Das allgemeine Zittern und Beben, aus dem sich der Aufschrei »Die Kontrolleure!!« löst, hat heute nichts Erschreckendes mehr. Die Passagiere zittern vor Freude ... Semjonytsch kam in den Wagen, gierig grinsend. Er stand kaum noch auf den Beinen. Gewöhnlich fuhr er nur bis Orechowo-Sujewo. In Orechowo-Sujewo stieg er aus und begab sich in sein Kontor, vollgetankt bis zum Erbrechen ...
    »Schon wieder du, Mitritsch? Schon wieder nach Orechowo? Karussell fahren? Von euch beiden achtzig. Und du, Schnurrbart? Saltykowskaja — Orechowo-Sujewo? Zweiundsiebzig Gramm. Weckt mal die besoffene

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