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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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Obduktion der Leiche konnten wir uns nicht entschließen, weil uns davor ekelte. Am Abend des gleichen Tages lief auf allen Fernschreibern der Welt folgende Meldung ein: »Er starb eines natürlichen Todes.« Wer, wurde nicht mitgeteilt, aber die Welt erriet es.
    Das Vierte Plenum stand im Zeichen der Trauer.
    Ich ergriff das Wort und sagte:
    »Meine Herren Abgeordneten! Wenn ich irgendwann mal Kinder haben sollte, werde ich ihnen das Porträt des Prokurators von Judäa, Pontius Pilatus, an die Wand hängen, damit sie reinlich aufwachsen. Der Prokurator, Pontius Pilatus, steht da und wäscht sich die Hände — so ein Porträt wird das sein. Ebenso mache ich es jetzt: ich erhebe mich und wasche mir die Hände. Ich habe mich euch im Suff und entgegen jeglicher Vernunft angeschlossen. Ich habe euch von Anfang an gesagt, daß die Herzen revolutioniert werden müssen und die Seele sich zu den ewigen moralischen Kategorien erheben muß. Das, was ihr hier angezettelt habt, ist ein Scheißspiel. Nichts als Firlefanz, künstliche Hektik und Verwirrung ...
    Was erwartet ihr euch davon? Überlegt doch mal selbst! In die EWG wird uns niemand aufnehmen. Die Schiffe der Siebten US-Flotte können nicht zu uns stoßen, und sie werden es auch nicht wollen Da fingen sie aus der Menge an zu schreien:
    »Gib die Hoffnung nicht auf, Wenja! Mach nicht in die Hose! Man wird uns Bomber liefern! Die B-52!«
    »Wie bitte?«
    »Die B-52!«
    »Daß ich nicht lache! Darauf könnt ihr lange warten, Herren Senatoren!«
    »Und Starfighter werden sie uns auch liefern!«
    »Ha-ha! Wer hat hier Starfighter gesagt? Noch ein Wort über die Starfighter, und ich platze vor Lachen Da schaltete sich Tichonow von seinem Platz aus ein:
    »Starfighter werden sie uns vielleicht wirklich keine liefern, aber die Entwertung des Franc, die werden sie uns mit Sicherheit liefern ...«
    »Ein Trottel bist du, Tichonow, das steht fest! Ich bestreite nicht, daß du ein wertvoller Theoretiker bist, aber du mußt immer danebenhauen!... Doch darum geht es jetzt nicht. Der ganze Bezirk von Petuschki steht in Flammen, und niemand bemerkt es, nicht einmal im Bezirk von Petuschki selbst. Warum? Kurz, ich zucke mit den Schultern und trete vom Amt des Präsidenten zurück. Ich mache es wie Pontius Pilatus: ich wasche meine Hände und trinke vor euch allen unseren ganzen Rest Rossijskaja aus. Ja. Ich trete meine Vollmachten mit Füßen und verlasse euch. Ich gehe nach Petuschki.«
    Ihr könnt euch vorstellen, was für ein Sturm unter den Delegierten losbrach, besonders in dem Moment, als ich ansetzte, um den Rest Rossijskaja auszutrinken ...! Und als ich aufbrach und fortging - was für Ausdrücke sie mir da nachriefen! Ich muß diese Ausdrücke ja wohl nicht wiederholen, ihr könnt es euch selbst vorstellen ...
    Ich empfand keine Reue. Ich ging über Wiesen und Weiden, durch Gestrüpp von Heckenrosen und durch Kuhherden. Auf den Feldern verneigten sich die Ähren vor mir, und die Kornblumen lächelten mir zu. Doch ich wiederhole: ich empfand keine Reue... Die Sonne war schon untergegangen, aber ich ging immer noch. »Himmlische Mutter«, sagte ich, »wie weit ist es doch bis Petuschki! Ich gehe und gehe, und Petuschki kommt nicht näher. Und dabei ist es schon dunkel. Wo geht es nur nach Petuschki?«
    »Wo geht es nur nach Petuschki?« fragte ich, während ich auf die hell erleuchtete Veranda zuging, die vor mir lag. Wo kam sie plötzlich her, diese Veranda? Vielleicht war das gar keine Veranda, sondern eine Terrasse oder ein Mezzanin oder ein Flügel? Das kann ich nämlich nie auseinanderhalten.
    Ich klopfte an und fragte noch einmal: »Wo geht es nur nach Petuschki? Ist es noch weit bis Petuschki?« Statt einer Antwort brachen alle, die auf der Veranda saßen, in Gelächter aus und sagten kein Wort. Ich war gekränkt und klopfte noch einmal. Auf der Veranda brach wieder das gleiche Gewieher los. Merkwürdig! Nicht genug damit, wieherte jemand auch noch hinter meinem Rücken. Ich sah mich um. Die Passagiere im Zug »Moskau — Petuschki« saßen auf ihren Plätzen und grinsten dreckig. Ach so? Ich sitze also immer noch im Zug und fahre ...? Macht nichts, Jerofejew, macht nichts. Laß sie nur lachen, achte nicht darauf. Wie sagte doch Saadi, der große Dichter der Perser: »Sei aufrecht und einfach wie eine Zypresse. Sei edel und freigebig wie eine Palme.« Ich verstehe nicht, was die Palme zur Sache tut, aber ist ja egal, sei trotzdem wie eine Palme. Hast du noch einen Schluck

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