Die Reise Nach Petuschki
würde ich auf keinen Fall überleben Der Satan ging beschämt weiter.
Und ich? Was blieb mir? Ich trank sechs Schlucke aus der Flasche und drückte die Stirn wieder an die Scheibe. Die Finsternis ballte sich vor dem Fenster und vergrößerte die Unruhe. Und gleichzeitig weckte sie einen dunklen Gedanken. Ich preßte meinen Kopf mit beiden Händen, um diesen Gedanken zu präzisieren, aber er ließ sich nicht präzisieren, sondern verschwamm wie ausgegossenes Bier auf dem Tisch. Mir gefiel diese Finsternis da draußen nicht, sie gefiel mir ganz und gar nicht. Doch die sechs Schluck Kubanskaja näherten sich schon dem Herzzen, leise, einer nach dem anderen. Und das Herz trat in Widerstreit mit der Vernunft...
»Was gefällt dir denn nicht an dieser Finsternis? Finsternis ist und bleibt Finsternis, daran änderst du nichts. Auf Dunkel folgt Licht, und auf Licht folgt Dunkel — das ist meine Meinung. Und ob es dir paßt oder nicht, die Finsternis wird nicht aufhören, Finsternis zu sein. Es bleibt also nur ein Ausweg: die Finsternis annehmen. Die ewigen Gesetze des Lebens werden wir Idioten nicht umstoßen können. Wenn wir das linke Nasenloch zuhalten, werden wir uns nur durch das rechte Nasenloch schneuzen können. Nicht wahr? Also, dann hör auf, nach Licht hinter dem Fenster zu schreien, wenn hinter dem Fenster Dunkelheit herrscht...«
»Das ist alles richtig, aber ich bin doch morgens um acht Uhr sechzehn vom Kursker Bahnhof abgefahren »Na, und wenn schon! ... Schließlich haben wir inzwischen Herbst, die Tage nehmen ab. Kaum kommst du zur Besinnung — peng!, schon wieder dunkel... Und nach Petuschki fährt man lange, o je, o je! Von Moskau nach Petuschki — o je, o je, da fährt man lange ...!«
»O je, o je! Was hast du denn dauernd mit deinem ›o je, o je‹? Von Moskau nach Petuschki fährt man genau zwei Stunden und fünfzehn Minuten. Letzten Freitag zum Beispiel...«
»Laß doch den letzten Freitag aus dem Spiel. Was hat der denn mit dem heutigen Freitag zu tun? Letzten Freitag hatte der Zug zum Beispiel fast nirgends Aufenthalt. Und überhaupt waren die Züge früher schneller ... Und heute? Der Teufel soll sie holen. Stehen und stehen, und kein Mensch weiß, warum. Manchmal könnte einem schlecht davon werden. Stehen und stehen, und so an jedem Baum. Außer Jessino ...«
Ich warf erneut einen Blick aus dem Fenster und runzelte wieder die Stirn.
»Ja-a ... Trotzdem ist es merkwürdig ... um sieben Uhr morgens bin ich losgefahren und immer noch unterwegs
Da begehrte das Herz auf: »Und die andern? Sind die andern etwa schlechter als du? Die andern fahren schließlich auch und fragen nicht, warum es so lange dauert und warum es so dunkel ist. Sie fahren schön langsam und sehen aus dem Fenster. Warum solltest du schneller fahren als sie? Es ist lächerlich, dir zuzuhören, Wenja, lächerlich und widerlich... Was bist du für ein Brausekopf! Wenn du schon getrunken hast, Wenja, dann sei etwas bescheidener, bilde dir nicht ein, daß du gescheiter und besser bist als die andern!«
Das hatte mich endgültig zermürbt. Ich verließ die Plattform, kehrte ins Abteil zurück und setzte mich auf die Bank, bemüht, nicht aus dem Fenster zu sehen. Die ändern Passagiere im Zug, fünf oder sechs Leute, dösten mit dem Kopf auf der Brust, wie Säuglinge... Ich wäre beinahe auch eingedämmert...
Doch plötzlich sprang ich auf. »Gütiger Gott! Aber sie erwartet mich doch um elf Uhr morgens! Um elf Uhr morgens, und draußen ist es immer noch dunkel... Das heißt also, daß ich noch bis Tagesanbruch auf sie warten muß. Ich weiß ja nicht, wo sie wohnt. Zwölfmal habe ich mich schon zu ihr durchgeschlagen, aber immer durch irgendwelche Hinterhöfe und immer mit besoffenem Kopf... Wie schade, daß ich das dreizehnte Mal völlig nüchtern zu ihr fahre. Deshalb werde ich warten müssen, bis es endlich hell wird. Wann wird endlich die Sonne meines dreizehnten Freitags aufgehen? Doch stop! Als ich aus Moskau wegfuhr, war doch die Sonne meines dreizehnten Freitags bereits aufgegangen. Das heißt also, daß heute Freitag ist. Doch warum ist es nur so dunkel hinter dem Fenster ...?«
»Es geht ja schon wieder los! Du mit deiner Dunkelheit. Hast du nichts anderes im Kopf?«
»Aber letzten Freitag
»Jetzt kommst du schon wieder mit dem letzten Freitag. Ich sehe, Wenja, du lebst völlig in der Vergangenheit. Ich sehe, daß du überhaupt nicht an die Zukunft denken willst!«
»Nein, nein, hör zu... Letzten Freitag,
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