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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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erwachsener Kindsköpfe und keine Präzedenzfälle! Was meinst du, sollen wir die Zeitrechnung ändern oder so lassen wie sie ist?«
    »Laß sie lieber in Ruhe. Solange man in der Kacke nicht rührt, stinkt sie nicht.«
    »Da hast du recht. Lassen wir das. Du bist ein brillanter Theoretiker, Wadja, das ist sehr gut. Am besten, wir schließen jetzt das Plenum, oder? Tante Schura in Polomy hat das Geschäft schon aufgemacht. Angeblich hat sie Rossijskaja.«
    »Klar, mach Schluß. Morgen früh findet sowieso das Zweite Plenum statt... Laß uns nach Polomy gehen.« Bei Tante Schura in Polomy gab es tatsächlich Rossijskaja. Aus diesem Grunde und auch deshalb, weil mit Vergeltungsschlägen aus der Kreisstadt gerechnet werden mußte, wurde beschlossen, die Hauptstadt vorübergehend von Tscherkassowo nach Polomy zu verlegen, das heißt um zwölf Werst tiefer ins Innere der Republik.
    Dort fand am nächsten Morgen auch das Zweite Plenum statt, das ausschließlich meinem Rücktritt vom Amt des Präsidenten gewidmet war.
    »Ich stehe vom Präsidentenstuhl auf«, sagte ich in meiner Rede, »und spucke darauf. Ich meine, daß das Amt des Präsidenten einem Mann zusteht, der sich die versoffene Fresse in drei Tagen nicht einschlagen läßt. Haben wir etwa solche unter uns?«
    »Nein, solche haben wir nicht«, antworteten die Abgeordneten im Chor.
    »Könnte man mir vielleicht die versoffene Fresse in drei Tagen nicht einschlagen?«
    Ein, zwei Sekunden musterten mich die Abgeordneten prüfend und antworteten wieder im Chor: »Doch, könnte man.«
    »Na also«, fuhr ich fort, »wir kommen auch ohne Präsident aus. Laßt uns lieber auf die Felder hinausgehen, Punsch kochen. Und Bor ja schließen wir hier ein. Er ist ein Mensch von hoher Moral, deshalb soll er hierbleiben und inzwischen das Kabinett bilden Meine Rede wurde von Ovationen unterbrochen, und das Plenum löste sich auf. Im Nu waren die umliegenden Felder und Wiesen von blauen Feuern erhellt. Nur ich allein konnte die allgemeine Begeisterung und den Glauben an den Erfolg nicht teilen. Ich ging zwischen den Feuern umher und stellte mir immer wieder eine bange Frage: Warum ist da keiner auf der ganzen Welt, der auf uns aufmerksam wird? Warum ist so ein Schweigen in der Welt? Der ganze Bezirk steht in Flammen, und die Welt hält den Atem an und schweigt. Gut, doch warum reicht uns keiner die Hand, weder im Osten noch im Westen? Wohin sieht König Olaf? Wie kommt's, daß uns keine der regulären Truppen aus dem Süden angreift?
    Ich nahm den Kanzler leise beiseite. Er stank aus allen Poren nach Punsch.
    »Gefällt dir unsere Revolution, Wadja?«
    »Ja«, antwortete Wadja, »sie ist schauerlich, aber wunderschön.«
    »Und was ist mit Norwegen, Wadja, was hört man von dort?«
    »Vorläufig nichts . .. Was willst du denn mit Norwegen? « »Du bist gut! Sind wir mit Norwegen im Kriegszustand oder in welchem Zustand? Eine ganz dumme Sache ist das. Wir kämpfen mit Norwegen, aber die nicht mit uns ... Wenn sie bis spätestens morgen nicht anfangen, uns zu bombardieren, übernehme ich wieder das Amt des Präsidenten — und dann wirst du sehen, was passiert!« »Übernimm es ruhig«, antwortete Wadja, »wer hindert dich daran, Jerofejtschik? Wenn es dir Spaß macht, übernimm es...«

Woinowo — Ussad
    Auch am nächsten Morgen fiel keine Bombe auf uns herab. Ich eröffnete das Dritte Plenum und verkündete: »Senatoren! Ich sehe, niemand in der Welt sucht Freundschaft noch Streit mit uns. Alle haben sich von uns abgewandt und halten den Atem an. Da aber morgen gegen Abend die Vergeltungskommandos aus Petuschki hier eintreff en werden und der Wodka bei Tante Schura morgen früh zu Ende gehen wird, übernehme ich hiermit die volle Macht. Den Idioten unter euch, die nicht verstehen, was ich meine, erkläre ich es: Ich rufe hiermit die Sperrstunde aus. Darüber hinaus erkläre ich die Vollmachten des Präsidenten für außerordentlich und ernenne mich gleichzeitig zum Präsidenten, das heißt zur Persönlichkeit, die über dem Gesetz und über den Propheten steht...«
    Niemand hatte Einwände. Nur der Premier, Borja S., zuckte beim Wort »Propheten« zusammen, warf mir einen wilden Blick zu, und seine sämtlichen oberen Glieder erbebten vor Rachegelüsten ...
    Nach zwei Stunden gab er in den Armen des Verteidigungsministers seinen Geist auf. Er starb vor Kummer und an seinem übermäßigen Hang zur Verallgemeinerung. Andere Gründe waren allem Anschein nach nicht vorhanden. Zur

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