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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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los!«
    »Gut. Aber hör genau zu:
    Minin und Posharskij treffen sich. ›Du siehst heute so merkwürdig aus, Minin‹, sagt Posharskij, ›als hättest du ziemlich viel getrunken.‹ ›Du siehst aber auch reichlich merkwürdig aus, Posharskij, schläfst im Gehen.‹ ›Hand aufs Herz, Minin, wieviel hast du heute getrunken?‹ ›Gleich sag ich's dir: zuerst einhundertfünfzig Gramm Rossijskaja, dann fünfhundertachtzig Gramm Kubanskaja, einhundertfünfzig Gramm Stolitschnaja, einhundertfünfundzwanzig Gramm Pfefferwodka und siebenhundert Gramm Bier mit Wodka. Und du?‹ »Genausoviel wie du, Minin.‹ ›Und wohin gehst du jetzt, Posharskij?‹ ›Wohin schon! Nach Petuschki natürlich. Und du, Minin?‹ ›Ich auch. Aber du, Fürst, gehst in die falsche Richtung!‹ ›Nein, du gehst in die falsche Richtung, Minin.‹ Kurz, sie überzeugten einander, daß sie umkehren mußten. Posharskij ging dahin, wo Minin hingehen wollte, und Minin dahin, wo Posharskij hingehen wollte. Und beide kamen am Kursker Bahnhof heraus.
    So. Und jetzt sag mir eins: wenn sie beide die Richtung nicht geändert hätten und jeder seinen ursprünglichen Weg fortgesetzt hätte, wo wären sie dann herausgekommen? Wo wäre Posharskij gelandet? Sag mal!«
    »In Petuschki?« fragte ich voller Hoffnung.
    »Eben nicht! Ha-ha! Posharskij wäre am Kursker Bahnhof gelandet! Und nirgends sonst!«
    Die Sphinx lachte und stellte sich auf beide Beine.
    »Und Minin? Wo wäre der gelandet, wenn er seinen Weg fortgesetzt und nicht auf Posharskij gehört hätte? Wo wäre Minin herausgekommen?«
    »Vielleicht in Petuschki?« Ich hatte nur noch wenig Hoffnung und war den Tränen nahe. »In Petuschki, ja?« »Ha-ha! Und warum nicht am Kursker Bahnhof? Du willst nicht, was?«
    Die Sphinx schleuderte ihren Schwanz durch die Luft, als müsse sie sich Kühlung zufächeln, weil sie vor Schadenfreude und Siegesgewißheit schwitzte.
    »Minin wäre auch am Kursker Bahnhof herausgekommen! ... Und wer von ihnen wäre nach Petuschki gekommen? Ha-ha! Nach Petuschki, ha-ha, kommt überhaupt keiner...!«
    Was für eine Lache dieser Halsabschneider hatte! Ich habe noch nie im Leben so ein blutsaugerisches Lachen gehört. Und wenn es wenigstens beim Lachen geblieben wäre! Aber nein, die Sphinx packte mich, während sie weiterlachte, mit zwei Gelenken an der Nase und zerrte mich irgendwohin ...
    »Wohin? Wo schleppst du mich hin, Sphinx? Wo schleppst du mich hin ...?«
    »Das wirst du schon sehen! Ha-ha! Das wirst du schon sehen...!«

Pokiow — Kilometer 113
    Sie zerrte mich auf die Plattform hinaus, drehte mich mit der Visage gegen das Fenster und löste sich in Luft auf. Wozu sollte das gut sein? Da soll sich noch einer auskennen.
    Ich sah durch das Fenster. Draußen war es nicht mehr so dunkel wie vorher. Auf die verschwitzte Scheibe hatte jemand mit dem Finger »Sau« geschrieben. Und durch diese Buchstaben hindurch sah ich plötzlich die Lichter einer Stadt, viele Lichter und die vorbeischwimmende Stationsaufschrift »Pokrow«.
    Pokrow! Im Landkreis von Petuschki! Noch drei Haltestellen, und ich bin in Petuschki. Du bist auf dem rechten Weg, Wenedikt Jerofejew. Die Unruhe, die bis dahin vom Grund der Seele immer höher gekrochen war, plumpste in diesem Moment auf den Grund der Seele und verstummte . .. Sie verstummte und blieb so drei oder vier Augenblicke auf dem Grund meiner Seele liegen. Aber dann — dann, nicht, daß sie langsam höher gestiegen wäre, nein, sie machte einen jähen Satz nach oben. Ein Gedanke, ein entsetzlicher Gedanke, schoß mir durch den Kopf und ließ mich weich in den Knien werden.
    Eben war der Zug von Pokrow abgefahren. Ich habe die Aufschrift »Pokrow« und helle Lichter gesehen. Das ist alles in Ordnung, Pokrow und die hellen Lichter. Doch warum war das alles auf der rechten Seite in Fahrtrichtung ...?
    Ich gebe zu, daß mein Verstand einigermaßen getrübt ist, aber ich bin doch kein Kind mehr, ich weiß doch, was es bedeutet, wenn die Station Pokrow auf der rechten Seite liegt. Das bedeutet, daß ich von Petuschki nach Moskau fahre und nicht von Moskau nach Petuschki! ... Diese verdammte Sphinx!
    Mir blieb die Luft weg. Ich torkelte hilflos durch das Abteil, in dem sich keine Menschenseele mehr befand. Ganz ruhig, Wenitschka, nur keine Aufregung. Hör auf zu klopfen, dummes Herz. Vielleicht hast du das alles nur verwechselt. Vielleicht lag Pokrow doch links und nicht rechts. Geh wieder auf die Plattform hinaus und schau dir genau an,

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