Die Reise nach Trulala
Verkäufer eindeutig als Sabotage und den Laden als kriminell und ausländerfeindlich. Die Geschichte mit dem Tomatensaft hinterließ bei meinem Freund schwere psychische Folgen, unter denen er noch sehr lange litt: Er konnte dieses Getränk nicht mehr zu sich nehmen und sprach das Wort »Tomatensaft« nie wieder in der Öffentlichkeit aus.
Damals half uns unser türkischer Nachbar aus der Klemme.
Er besorgte uns einen echten Job bei einem soliden Unternehmen. Es war eine große Druckerei - auf drei Stockwerken arbeiteten ungefähr einhundert Türken und ein paar Dutzend Deutsche. Wir bewarben uns beim Versand und wurden als Packer eingestellt. Diesmal war es eine richtige Arbeit mit einer Lochkarte, die man vor Beginn und am Ende des Arbeitstages in eine Stechuhr stecken musste. Wir verdienten zweihundert Mark am Tag, die wir bar auf die Hand bekamen. Dafür ließ uns der alte Meister keine zwei Minuten aus den Augen. Er sollte uns mit seiner Erfahrung beim Einstieg in die neue Arbeitswelt helfen. Die Arbeit in der Versandabteilung war nicht besonders kompliziert. Wir saßen im Keller und wurden alle fünf Minuten mit den Produkten der Fabrik überschüttet. Von oben kamen gewaltige Mengen von Büchern, Plakaten, Skizzen und Landkarten auf unseren Tisch, die wir einpacken mussten.
Diese Arbeit schien uns zunächst sehr unterhaltsam zu sein, und ständig lachten wir über das eine oder andere Produkt. Einmal sollten Andrej und ich zum Beispiel zwei Meter große Frauenkalender in Kartons packen, Fotos mit riesengroßen schönen Frauen.
»Wer braucht solche riesengroßen Frauenkalender?«, fragten wir den alten Meister. Er wollte uns nicht die Wahrheit sagen. »Riesengroße Wichser«, antwortete er nur und fand das anscheinend überhaupt nicht komisch. Auch unsere zahlreichen türkischen Arbeitskollegen nicht, die ihre Sache unglaublich schnell machten. Mir gefiel der Job eigentlich ganz gut. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie uns gleich nach zwei Wochen wieder rausschmissen.
Eine Woche später trafen wir auf der Straße unseren alten Bekannten Dimitrij, der mit uns zusammen früher bei der Firma Hofmann als Prospektverteiler gearbeitet hatte. Wir erkannten unseren Freund kaum wieder. Er steckte in einem weißen Overall mit einer Kapuze, in einer Hand hielt er einen großen Blumenstrauß und in der anderen eine Flasche Bier. Dimitrij sah aus wie ein Fallschirmspringer, dem gerade der Sprung seines Lebens gelungen war.
»Gehst du heiraten?«, fragten wir ihn zur Begrüßung.
Nein, meinte er, er habe einen tollen neuen Job. Er arbeite seit einer Woche als Verkäufer der neuen Zeitung »Berliner Express«, und die Fallschirmausrüstung sei sein Arbeitsanzug. So einen bekomme jeder, der beim »Berliner Express« im Außendienst einsteige.
»Ihr könnt auch mitmachen, wenn ihr wollt«, behauptete unser Freund. »Sie stellen jeden Trottel ein. Außerdem machen sie gerade eine Werbekampagne : Jeder Käufer bekommt eine Rose geschenkt. Aber nicht bei mir«, erzählte Dimitrij. »Ich verschenke meine Rosen nur an die tollsten Bräute, auch wenn sie gar keine Zeitung haben wollen. Wenn ihr den Job wollt, müsst ihr um fünf Uhr morgens zur Kongresshalle am Alex kommen, da ist der Treffpunkt für die Zeitungsverkäufer.«
Wir hatten gerade keine große Lust zu ackern, aber der Anzug beeindruckte uns sehr. Also gingen wir doch am nächsten Tag zum Alex. Die Arbeitsaufnahme verlief tatsächlich völlig unproblematisch, nicht einmal unsere Pässe wollten die Arbeitgeber sehen. Jeder sollte sich in eine Liste mit Namen eintragen und bekam dann den gewünschten weißen Overall mit dem Firmenlogo drauf sowie zwanzig rote Rosen und einen Stapel »Berliner Express«. Außerdem wurde jedem ein persönlicher Verkaufsplatz zugewiesen und die Instruktion erteilt, beim Verkauf möglichst laut die Titelseite anzupreisen. Wie in den alten Filmen, wo die jungen Zeitungsverkäufer durch die Straßen laufen und laut »Bild am Sonntag, Bild am Sonntag, die letzte Ausgabe!« schreien.
Die Bezahlung war fair: Der Festsatz in Höhe von fünfunddreißig Mark wurde sofort ausgezahlt, darüber hinaus standen jedem Verkäufer noch fünfzehn Pfennig pro verkauftem Exemplar zu. Eigentlich hätten wir gleich nach Hause gehen, die Rosen unseren Freundinnen schenken und die Zeitungen in eine Mülltonne werfen können. Aber wir waren damals noch jung und sehnten uns nach Abenteuern. Also trennten wir uns, und ich fuhr an den Arsch der Welt, zum
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