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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Sophie-Charlotte-Platz, um dort meinen Stapel »Berliner Express« zu verkaufen. Am Tag zuvor hatte gerade der berühmte zweite Putsch in Moskau stattgefunden, und die junge russische Demokratie war schon wieder gefährdet. Auf der Titelseite des »Berliner Express« stand wie auf den Titelseiten aller anderen Zeitungen: »Die Panzer rollen über den Roten Platz.«
    Um sechs Uhr früh kam ich am Sophie-Charlotte-Platz an. Dort rollte gar nichts. Kein Mensch weit und breit. Ich hatte einen starken Auftritt: Ein junger Mann im Kostüm eines Fallschirmspringers ruft mit russischem Akzent in der Morgendämmerung mitten in Charlottenburg: »Die Panzer rollen über den Roten Platz, die Panzer rollen über den Roten Platz!« Einige einsame Fußgänger sprangen zur Seite, als sie mich sahen. Nur einmal kam ein Mann auf mich zu und fragte, ob alles in Ordnung sei. »Alles paletti«, sagte ich, »nur diese Panzer, sie rollen über den Roten Platz.« Nach drei Stunden hatte ich fünf Zeitungen verkauft. Den Rest ließ ich liegen und fuhr nach Hause. Die Rosen nahm ich mit und schenkte sie am Nachmittag meiner Freundin. Andrejs Arbeitstag verlief ähnlich. Abends in der Kneipe beschlossen wir, keine weiteren Arbeitserfahrungen zu sammeln und stattdessen Urlaub zu machen. Mein Freund war inzwischen von einer neuen Reiseidee überwältigt und nervte mich den ganzen Abend mit seiner Besessenheit.
    »Amerika! Amerika ist cool«, wiederholte er immer wieder, »wir müssen unbedingt nach L. A. fliegen.«
     
     
    Die Verdeckung Amerikas
     
    Mit sechzehn dachten wir, alles Gute käme aus Amerika, seien es Bücher, Klamotten oder Musik. Wie die Papageien im Käfig redeten wir von Dingen, von denen wir keine Ahnung hatten. Was wussten wir von Amerika? Nichts. Das Magazin »Im Ausland« schilderte die USA als eine Gesellschaft, die sich auf die Macht des Geldes gründet und wo die kleinbürgerliche Moral als einzig denkbare gepriesen wird. Im Fernsehen kamen ab und zu Bilder von unterdrückten Werktätigen, die in den USA ein Bettlerdasein führten und ständig bis auf den letzten Pappkarton von den Kapitalisten ausgenommen wurden. Regelmäßig konnte man auch das glückliche Gesicht des Sängers Dean Reed im Fernsehen sehen. Ihm war es gelungen, aus Amerika nach Ostberlin zu fliehen: Heilfroh sang er nun in der DDR »Guantanamera«.
    Wir glaubten dieser Propaganda nicht. Bestimmt waren die Penner aus dem Fernsehen extra von der Sowjetunion nach Amerika eingeflogen worden, um dort für die schrecklichen Bilder der Armut zu posieren, dachten wir. Und Dean Reed hielten wir für gekidnappt. Trotz seines ständigen Lächelns wirkten seine Augen irgendwie traurig - klar, er wollte zurück. Obwohl wir also von Amerika damals kein klares Bild hatten, genügte uns allein schon die Tatsache, dass dort alles anders als bei uns war, um dieses Land zu lieben und zu verherrlichen. Im Nachhinein würde ich sagen: Dieses »Amerika« war unsere Kindheit. Mein damals bester Freund Katzman, der schon mit vierzehn am Hotel Intourist mit Leninorden gedealt hatte, trieb im Sommer 1984 eine amerikanische Fahne auf. Daraus nähte er sich ein Hemd und aus dem Rest noch eine Mütze für mich. Diese Kleidungsstücke waren dann im November '84 einer der Gründe für unsere Verhaftung, nachdem wir mit ihnen am Smolenskij-Boulevard in der Nähe der amerikanischen Botschaft aufgekreuzt waren. Ein älterer ermüdeter Major hörte sich zwei Stunden lang unser Gequatsche an. Er rauchte pausenlos und machte sich Notizen. Katzman behauptete ihm gegenüber, wir wären Kinder der amerikanischen Kultur und nicht der sowjetischen, deswegen verehrten wir die Farben der amerikanischen Fahne. Außerdem, so meinte mein Freund, wären wir in einem T-Shirt aus der sowjetischen Fahne noch schneller verhaftet worden. »Na dann«, sagte der Major, »wenn euch danach ist, braucht ihr die sowjetischen Pässe ja gar nicht, die ihr gerade bekommen habt.« Er schmiss unsere beiden nagelneuen Ausweise in den Mülleimer - und uns aus seinem Büro.
    Katzmans Freundin Diana hieß laut Pass »Diana Amerikowna«. Auf so einen Namen waren alle neidisch. Daraus konnte man schließen, dass Dianas Vater den Namen »Amerikan« trug. Ihr Vater war aber ein ungarischer Kommunist gewesen, den Dianas Mutter irgendwann bei einem Gewerkschaftstreffen kennen gelernt hatte. Er war ziemlich schnell wieder abgehauen und hieß in Wirklichkeit Imre. Als Diana zur Welt kam, hatten sich die Beamten auf dem

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