Die Reise nach Trulala
versah unsere Pässe mit einem dänischen Stempel, sagte dabei aber kein Wort. Ein Visum brauchten wir anscheinend tatsächlich nicht. Als Andrej und ich endlich das Festland betraten, waren alle Mitreisenden längst weg. Laut Karte waren wir keine siebzig Kilometer von Kopenhagen entfernt, doch es gab niemanden, der uns mitnehmen konnte oder wollte. Hinter uns lag nur Meer, direkt vor uns ein kleines Dorf, doch die Bewohner hatten nicht vor, ihre Häuser zu verlassen, um uns nach Kopenhagen zu bringen. Innerhalb von fünfzehn Minuten hatten wir die Siedlung durchquert. Zwei dänische Kühe und eine ältere Frau, die auf einer Bank vor ihrem Häuschen saß, beobachteten uns aufmerksam.
Mein erster Kommunikationsversuch auf dänischem Boden scheiterte sogleich. Ich fragte die Frau auf Deutsch, ob sie uns ein Glas Wasser geben könne. Sie schaute zur Seite und wurde ganz nachdenklich. Nachdem Andrej meine Frage noch einmal auf Englisch wiederholt hatte, stand sie auf und ging ins Haus. Doch statt Wasser brachte sie ihren Mann, der irgendetwas auf Dänisch nuschelte und dabei mit den Händen fuchtelte, als wären wir Mücken, die sein Blut saugen wollten. Nach übertriebener Gastfreundschaft sah das nicht aus. Wir hatten die Wahl, noch zwölf Stunden in dieser Gesellschaft zu verbringen und auf die nächste Fähre zu warten oder zu Fuß Richtung Kopenhagen zu gehen. Natürlich würden wir die Strecke nie aus eigener Kraft schaffen, aber wer weiß, vielleicht hatten wir Glück und fanden an irgendeiner Kreuzung eine Mitfahrgelegenheit. Mein Freund Andrej meinte auch, dass Gehen auf jeden Fall besser wäre als Warten. Wir verabschiedeten uns von den Kühen und drangen ins Innere des Landes vor.
Die ersten fünf Kilometer gab es nichts. Man sah nur grüne Wiesen zu beiden Seiten der Landstraße, in der Luft konnte man einige dänische Fliegen und Libellen beobachten, und einmal sahen wir aus der Ferne eine dicke Kuh. Die Sonne strahlte, Dänemark schien in einer natürlichen Harmonie zu ertrinken. Nur wir waren hier offensichtlich fehl am Platz: Andrej mit seiner Gitarre und ich mit meinem dunkelgrünen sowjetischen Rucksack. Nach weiteren fünf Kilometern Fußmarsch machten wir eine niederschmetternde Entdeckung: Die Dänen hielten einfach nicht an. Mehrere Autofahrer kamen nacheinander an uns vorbei, und keiner würdigte uns auch nur eines Blickes. Trotz John-Lennon-Outfit, trotz eines Kartonstreifens, auf dem ich in Pseudodänisch »Kobengaben« geschrieben hatte.
An einer Kreuzung auf einem Hügel machten wir Halt. Es war sinnlos, weiterzulaufen. Wir waren hungrig, durstig und müde. In der Nähe der Kreuzung entdeckte ich ein sumpfähnliches Wasserbecken. Wir sollten nicht verdursten. Die Reise, die so wunderbar angefangen hatte, schien in einer Sackgasse zu enden. Die hunderte von Kilometern bis zur dänischen Grenze hatten wir in wenigen Stunden geschafft, die letzten siebzig wurden nun zu unserem Verhängnis. Noch zwei Autos rasten an uns vorbei. Es war schon bedenkenswert: Warum hielten die Dänen nicht an? Sollten wir etwa den Rest unseres Lebens auf dieser Kreuzung verbringen und uns von Kühen ernähren? Ich versuchte, eine große Konservendose Schweinefleisch mit einem Schweizer Messer einigermaßen akkurat zu öffnen. Als Beilage stand uns das Sumpfwasser zur Verfügung: eine delikate Mahlzeit für unterwegs.
Andrej enthüllte seine Gitarre, die wie eine Kalaschnikow an seiner Brust hing und die dänischen Autofahrer von unserer Harmlosigkeit als Tramper überzeugen sollte. Er vertrat die optimistische Ansicht, dass wir noch vor Einbruch der Dunkelheit unsere Kreuzung verlassen würden, und zwar in einem Auto. Als überzeugter Pessimist entgegnete ich ihm, dass wir hundertprozentig hier im Busch übernachten müssten. Wir leerten die Büchse Schweinefleisch und verabredeten, uns alle dreißig Minuten an der Straße abzuwechseln. Andrej war als Erster mit Daumenrausstrecken an der Reihe. Er nahm den Karton und bezog seinen Posten. Die Sonne drohte schon bald hinter dem Horizont zu verschwinden. Ich legte mich unter einen Busch und schlief sogar ein wenig ein. Im Halbschlaf hörte ich Reifen quietschen, danach eine freundliche Unterhaltung auf Deutsch. Das ist nur ein Traum, dachte ich und schloss wieder die Augen. Es war aber kein Traum. »Schnell, schnell«, rief Andrej mir zu. Auf der Straße stand ein roter Volkswagen mit dänischem Kennzeichen. Der Fahrer war Deutscher. Wir warfen unsere Sachen in den
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