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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Kofferraum und verließen die Kreuzung.
    »Danke«, sagten wir zu unserem Retter.
    »Selber schuld«, meinte der Fahrer. Er habe sich sehr gewundert, als er uns an der Straße stehen sah, denn per Anhalter zu reisen sei in Dänemark nicht sehr verbreitet: »Es hat sich hier nicht durchgesetzt. Die Dänen sind durchaus gastfreundlich und hilfsbereit, sie denken nur viel zu langsam«, erklärte uns Peter Land und Leute. »Ehe sie jemanden an der Straße bemerken, sind sie schon zwei Kilometer weitergefahren. Dann fragen sie sich natürlich, ob derjenige auf der Straße vielleicht mitgenommen werden wollte, aber da sind sie schon weitere fünf Kilometer gefahren.« Die nördliche Mentalität neige zur Nachdenklichkeit, deswegen mache das Trampen in Dänemark auch keinen Spaß.
    Peter lebte schon lange in Dänemark und in Deutschland und pendelte ständig zwischen Helsingor und Rostock.
    »Was wollt ihr in Kopenhagen, kommt doch mit, ich zeige euch die Heimat von Hamlet«, meinte er. Er besäße in Helsingor ein großes Haus mit zwei Kinderzimmern, die Kinder seien aber schon längst ausgezogen, und so könnten wir dort übernachten. Es war schon spät, wir waren müde und nahmen deswegen die Einladung dankend an. Am nächsten Tag, versprach Peter, würde er uns weiter nach Kopenhagen bringen. In weniger als zwei Stunden erreichten wir Helsingor, eine dänische Stadt an der schwedischen Grenze.
    Das Haus von Peter stand nahe am Wasser und sah aus wie ein Ikea-Kaufhaus außerhalb der Öffnungszeiten: groß, holzig und leer. Seine Frau nahm uns mit großer Selbstverständlichkeit auf, so als würde ihr Mann jedes Mal von unterwegs ein paar Russen mitbringen. Die Nacht war hell, der Himmel voller Sterne. Wir saßen im Garten an einem Holztisch und aßen Pellkartoffeln mit Milch und Brot. Mindestens zehn dicke dänische Katzen liefen im Garten und um unseren Tisch herum. Nach dem Essen wurde Andrej, der sich als Musiker vorgestellt hatte, von den Gastgebern aufgefordert, etwas zu singen. Er holte seine Gitarre und spielte einige Lieder, die jeder Weltbürger mitsingen kann. »Yesterday« und »We shall overcome«. Danach nahm Peter das Instrument und bewies uns, dass er auch »Yesterday« spielen konnte.
    Dank der Beatles entstand an unserem Tisch sofort ein trügerisches Bild grenzloser Toleranz und Völkerverständigung. Sogar die Katzen wurden auf einmal ruhig und hörten aufmerksam zu. Ich wollte den rührenden Abschied nicht mit falschem Gesang stören und machte einen kurzen Spaziergang ans Meer. Auf der anderen Seite konnte man schon Schweden erkennen. Das Land dort unterschied sich auf den ersten Blick nicht im Geringsten von Dänemark: dieselben Bäume, dieselben Häuser. Doch dort befand sich schon eine ganz andere Stadt, Helsingborg, für das wir - anders als bei Helsingor - schon ein Visum brauchten. »You never give me your money, you only give me your funny paper...«, schallte es aus dem Garten. Was ist das eigentlich: »funny paper«?, überlegte ich.
    Erst gegen zwei Uhr nachts ging das Konzert im Garten langsam zu Ende. Andrej und ich schliefen in einem alten dänischen Kinderhochbett ein. Ich träumte von dem verheißungsvollen »funny paper« oder dem, was der Sänger damit gemeint haben mochte. »Wenn wir uns dem Kapital unterordnen und nur noch durch Geld miteinander kommunizieren, dann werden wir bald den Rest unserer Menschlichkeit verlieren und auf das Niveau von Tieren herabsinken. Lass uns also auf das Geld verzichten und lieber lustiges Geschenkpapier benutzen als symbolische Geste der gegenseitigen Verständigung und Toleranz.« So ungefähr verstand ich die Botschaft der Beatles.
    Am nächsten Morgen beim Frühstück teilte ich meinen Freunden die frisch gebastelte Erklärung für »funny paper« mit und wurde von den beiden sofort ausgelacht. Andrej und Peter waren überzeugt, dass das Lied von einer unglücklichen Liebe handelte: Der Mann machte seiner Freundin Vorwürfe, sie liebe ihn nicht wirklich, nach dem Motto: »Jedes Mal, wenn wir zusammen sind, gibst du kein echtes Geld von dir, sondern nur ein billiges Klopapier« - so ungefähr würde es auf Deutsch heißen, meinten sie. Ich schüttelte bloß den Kopf. Gedichte zu deuten war noch nie meine Stärke gewesen.
    Peter hielt sich an sein Versprechen und fuhr uns gleich nach dem Frühstück nach Kopenhagen. Am Rande eines großen Platzes vor dem dänischen Parlament setzte er uns ab. Dort hatte er bei seinem letzten Hauptstadtbesuch einige

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