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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Russen gesehen - Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt worden war und die wochenlang in einem Zelt vor dem Parlament unter einem großen Transparent mit der Aufschrift »We don't go back« einen Hungerstreik durchgeführt hatten. Ihr Zelt wurde schnell zu einer beliebten Touristenattraktion, die Einheimischen nannten es das »Russenzelt«.
    »Ich war schon lange nicht mehr hier, vielleicht sind die
    Russen längst tot«, meinte unser Freund und grinste freundlich. Wir tauschten unsere Adressen aus, umarmten und verabschiedeten uns. Peter fuhr nach Hause zurück, wir gingen in Richtung Parlamentsgebäude die Russen suchen. Mitten auf dem Platz standen zwei Dutzend Touristen aus aller Welt und fotografierten einen dicken Mann, der mit einem Eimer weißer Farbe und einem Pinsel den Platz bemalte. »Hungry and desperate! Russians never give up!«, schrieb er. Zwanzig Meter weiter befand sich ein kleines gelbes Zelt, an das sich die Touristen nicht herantrauten. Dort saßen die Hungerstreikenden. Wir freuten uns, so schnell unsere Landsleute in der fremden Stadt getroffen zu haben.
    Im Zelt herrschte eine familiäre Atmosphäre. Zwei Männer und ein junges Mädchen saßen auf Plüschdecken, und in einer Ecke kochte eine wohl riechende Suppe auf einem Primuskocher vor sich hin. Wir machten uns miteinander bekannt. Die hungernden Männer wunderten sich keine Sekunde über unser Erscheinen. Sie bekamen oft Besuch von allen möglichen Leuten. Aber das Mädchen meckerte uns an: »Was wollt ihr denn? Ständig gehen hier irgendwelche Leute ein und aus, man kriegt kaum noch Luft und hat überhaupt kein Privatleben mehr«, beschwerte sie sich. Aber dann fragte sie uns, ob wir etwas zu essen hätten. Wir hatten nichts mehr, außer einer Packung Kartoffelchips, die wir auf die Plüschdecke legten. Das Mädchen war begeistert:
    »Ich kann diese Suppe nicht mehr sehen«, erklärte sie uns. »Ihr seid herzlich willkommen.«
    Die jungen Männer gaben uns die Hand. »Die Dänen bringen uns jeden Tag irgendwas zum Essen. Trotzdem wird man hier nie satt, nichts macht so viel Appetit wie ein Hungerstreik.«
    Die Suppe war bereits fertig, und der Dicke, der draußen auf dem Platz mit dem Eimer Farbe herumgekrochen war, kam zurück. Auch wir bekamen einen Teller Suppe und lernten unsere Landsleute endlich auch mit Namen kennen: Oleg und Alex waren beide aus Jenissesk, aus dem tiefsten Sibirien. Sie waren mit einem Touristenvisum nach Dänemark gekommen und hatten hier Asyl beantragt mit dem Argument, als Homosexuelle würden sie in Jenissesk von der Staatsmacht verfolgt und von ihren Mitbürgern stark diskriminiert. Nur im Westen wären sie außer Lebensgefahr, behaupteten sie in ihrem Asylantrag. Er wurde von der dänischen Behörde abgelehnt.
    Der dicke Mann, der als Einziger von ihnen Englisch konnte und den alle Julius nannten, kam aus Rowno, einer Kleinstadt in der Ukraine. Dort war er gezwungen gewesen, dreißig Jahre lang in der Nähe eines geheimen Atomkraftwerkes zu leben, was seine Gesundheit beeinträchtigt und sein Privatleben zerstört hatte. Auch sein Asylantrag wurde von den Dänen abgelehnt.
    Das Mädchen hieß Lena und stammte aus Twer. Dort hatte sie sich bei den »Jungen Bolschewiken« engagiert, einer politischen Bewegung, die es sich zum Ziel gemacht hatte, den dortigen Bürgermeister zu stürzen und einen unabhängigen Staat Tweristan auszurufen. Nachdem die jungen Bolschewiken das Büro des Bürgermeisters mit Ketchupflaschen beworfen hatten, mussten sie aus der Stadt fliehen. Lena war jung, schön und voller revolutionärer Ideale. Trotzdem wollte Dänemark auch sie nicht haben.
    »Das Parlament hat extra wegen uns eine Sitzung abgehalten«, erzählte uns Julius, »seit zwei Wochen beobachten sie uns jetzt schon und hoffen, dass wir von allein verschwinden. Darauf werden sie aber lange warten müssen. Wir haben schon jetzt genug Proviant, um unseren Hungerstreik bis nächstes Jahr durchzuhalten! So leicht werden die uns nicht los!« Er drohte mit der Faust in Richtung Parlamentsgebäude.
    »Wenn sie euch aber hier mit der Suppe erwischen, verliert eure Aktion stark an Glaubwürdigkeit«, wandte ich ein.
    »Der Hungerstreik ist eher eine symbolische Geste«,erwiderte Julius und fuchtelte mit den Händen. »Trotzdem hungern wir, das heißt, wir essen nur Suppe und manchmal, sehr selten, Gemüse und Obst.«
    »Und Chips!«, fügte Lena hinzu.
    »Bei uns waren schon mehrere Abgeordnete im Zelt und haben sogar unsere Suppe

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