Die Reise nach Trulala
der Runde.
»Ungarn hat die Seiten gewechselt, 1943-44, und mein Opa sogar mehrmals«, erklärte Laszlo.
»Mein Großvater war ein Pazifist«, sagte Detlev aus Deutschland. »Er hat niemanden umgebracht, aber ist trotzdem nach dem Krieg lange Zeit im Knast gesessen.«
»Und mein Opa hätte einmal beinahe meine Oma umgebracht, das war noch vor dem Krieg«, erzählte der Finne.
»Mein Opa hat als Kavallerist auch haufenweise Menschen umgebracht«, trug ich das meinige zum Gespräch bei.»Meiner doch auch«, fügte Andrej hinzu.
Alle schwiegen eine Weile, fasziniert von der Blutrünstigkeit ihrer Vorfahren. Dann schlug der Finne einen ewigen Weltfrieden vor, und alle nickten. Später erfuhren wir, dass die »Pferd oder Baum<<-Gesprächsrunde sich schon über Monate hinzog und überhaupt keinen realen Bezug hatte. Es stand weder die Anschaffung eines Pferdes noch eines Baumes an. Was es gab, war nur eine Menge junger Leute, die Christiania kaum verließen, jeden Tag zum See baden gingen, Musik hörten, Haschisch rauchten und sich zwischendurch immer wieder solche und ähnliche Gespräche lieferten.
Andrej und ich hatten eigentlich durch Dänemark trampen und auch einige Inseln besuchen wollen, um das Land kennen zu lernen. Stattdessen blieben wir zwei Wochen lang in Christiania hängen, in diesem Paradies der Erwerbslosen. Es war langweilig und spannend zugleich. Ich habe dort Afrikanisch singen gelernt, und Andrej hat Leute getroffen, die von »Yesterday« und überhaupt von den Beatles keine Ahnung hatten. Sie hielten Andrej für ein Musikgenie. Sie selbst kamen aus Ländern, von denen wir wiederum keine Ahnung hatten. Man konnte in Christiania an einem Tag mehr über das Leben verschiedenster Völker erfahren, als wenn man über den ganzen Erdball gereist wäre. »Besuchen Sie Christiania - die ganze Welt in einem Joint«, scherzte Andrej.
Anfangs waren wir beide von diesem sorglosen Leben begeistert. Doch nach einem halben Monat konnten wir einfach nicht mehr - weder trinken noch rauchen, noch einfach rumsitzen. Auch die sich ewig wiederholende »Pferd und Baum-Diskussion am Lagerfeuer der Nachbarn ging uns langsam auf die Nerven. Jeder Tag in Christiania fing ganz neu an, endete aber jedes Mal genauso wie der vorige, egal was man dagegen unternahm. Wegen ihrer vielen Kifferei hatten viele Christiania-Bewohner auch gar kein richtiges Zeitgefühl mehr. Einige hatten noch nicht einmal gemerkt, dass sie inzwischen schon fast Rentner geworden waren.
Schließlich kamen die hungerstreikenden Russen aus Kopenhagen mit einem Sieg zurück: Die dänische Regierung hatte doch noch nachgegeben. Unsere Landsleute waren durch das Hungern ein wenig dicker und selbstsicherer geworden. Drei Tage lang feierten wir alle dieses Ereignis. Durch ihre Rückkehr war das Russische Haus plötzlich zu eng geworden. Aber Andrej und ich wollten Dänemark sowieso verlassen, wir hatten kein Geld mehr - es war höchste Zeit, zurück nach Hause zu fahren. Nur wie?
Eine Zugfahrkarte konnten wir nicht bezahlen und noch einmal per Anhalter die ganze Strecke zurückzufahren, dazu hatten wir keine Lust. Allein die Vorstellung, wieder an der dänischen Autobahn mit rausgestrecktem Daumen zu stehen, schreckte uns. Unsere Landsleute, die in gewisser Weise daran interessiert waren, dass wir allmählich wieder aus Christiania verschwanden, weil im Russischen Haus ein großer Platzmangel herrschte, nahmen unser Problem in die Hand. Sie verrieten uns Erstaunliches. Eines Tages, als wir wie immer im Garten saßen und uns mit dem Finnen über Pferde unterhielten, verrieten sie uns einen Geheimtipp: die Adresse der einzigen Mitfahrzentrale Skandinaviens, die sich in einer kleinen Straße in Kopenhagen befand und von einem Kölner namens Kai geleitet wurde. Mehrere Christiania-Bewohner hatten bereits die Dienste von Kai in Anspruch genommen.
»Er ist goldrichtig, er wird euch locker hier rausbringen«, meinte Lena.
Am nächsten Tag packten wir unsere Rucksäcke, verabschiedeten uns von allen und gingen mit den besten Empfehlungen zu Kai. Die Mitfahrzentrale befand sich im Hinterhof eines vier Stockwerke hohen Hauses. Ihr Besitzer und gleichzeitig einziger Mitarbeiter saß im Hof auf einem Plastikstuhl mit einem dicken Joint in der Hand und sonnte sich. Kai hatte lange rote Haare, er trug eine Sonnenbrille und ein Hawaiihemd. Der Traum vom ewigen Urlaub stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Wieso wollt ihr Dänemark denn verlassen? Es ist doch so schön
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