Die Reise nach Trulala
hier!«, war seine erste Frage, als Andrej ihm von unserem Anliegen erzählte. »Wenn ihr keine Bleibe habt, könnt ihr bei mir in der Mitfahrzentrale pennen, so lange ihr wollt. Ich habe viel Platz im Büro, Matratzen liegen im Keller, und eine Dusche ist dort auch eingebaut.« Anscheinend hatte Kai nicht vor, mit seinem Geschäft Profit zu machen. Wir schauten uns um. In seinem Büro hing ein Buch mit Eintragungen von Fahrern und Mitfahrern. Laut diesem Buch hatte Kai bisher ungefähr eine Mitfahrgelegenheit pro Jahr vermittelt. Doch wir hatten Glück: In zwei Tagen wollte ein Italiener von Kopenhagen nach Venedig fahren.
»Dabei kommt er doch ganz zwangsläufig durch Deutschland und kann uns dort irgendwo absetzen«, meinten wir zu Kai. Er hielt das allerdings für keine gute Idee.
»Mein Freund Leonardo wollte unbedingt, dass ein oder zwei Mädchen mit ihm zusammen nach Venedig fahren, um ihnen diese tolle Stadt zu zeigen. Versteht ihr mein Problem?«
Andrej und ich waren ratlos. Wir saßen in Dänemark fest - in einer Mitfahrzentrale, von der niemand wegkam. Kai stellte inzwischen einen großen Tisch im Hof auf und trug mehrere Plastikstühle aus seinem Büro an die frische Luft und bereitete
alles zum abendlichen Teetrinken vor. Bald kamen die ersten Gäste. Innerhalb einer Stunde lernten wir fast alle Bewohner des alten Hauses kennen. Die Mitfahrzentrale befand sich im Erdgeschoss und diente gleichzeitig als Hauskneipe. Im ersten Stock, direkt über Kai, befand sich eine Einrichtung der haitianischen Botschaft. Im zweiten Stock eine Studenten-WG mit vielen afrikanischen Frauen. Der dritte Stock war ein Künstleratelier. Dort lebten zwei Lesben aus England; Doris und Margot, außerdem mehrere Dänen, die aber keine Namen hatten. Wahrscheinlich waren es Modelle, die für die englischen Malerinnen posierten.
Die WG-Bewohner unterhielten eine enge Beziehung zum haitianischen Botschafter und durften seine Diplomatenwaschmaschine benutzen. Der Botschafter saß auch oft in der Studenten-WG. Diese ganze bunte Gesellschaft versammelte sich immer abends vor der Mitfahrzentrale im Hof. Sie tranken Tee aus großen Tassen, spielten Gitarre und rauchten Kette. Zwischendurch versuchten sie, uns zu überzeugen, für immer bei ihnen zu bleiben.
»Wir haben hier alle möglichen Schurken, nur keine Russen«, meinte der haitianische Botschafter zu uns.
Und Doris wollte uns unbedingt nackt malen: »Nackte Russen vor skandinavischer Mitfahrzentrale« sollte das Werk heißen.
Zwei Tage genossen wir die Gastfreundschaft des Hauses. Wir sangen zusammen mit den Frauen aus der Studenten-WG afrikanische Volkslieder und kifften mit den haitianischen Diplomaten, posierten für Doris.
Dennoch waren wir nach wie vor fest entschlossen, Dänemark zu verlassen. Die Einzigen im Haus, die ein Auto hatten, waren die Malerinnen. Schließlich gelang es uns, Doris zu überreden, uns zur Fähre nach Gedser zu bringen. Andrej und Kai tauschten ihre Gitarren aus. Wir umarmten uns und wünschten Kai und seinem Unternehmen viel Glück. Dann fuhren wir endlich los.
Unsere Rückreise war nicht abenteuerlich. Zu unserer Erleichterung funktionierte in Deutschland das Trampen immer noch hervorragend, und nach einem Tag waren wir schon in Berlin. Zu Hause hatte ich Schwierigkeiten, meiner Frau Olga etwas über Dänemark zu erzählen, über das Leben dort und ähnliche Dinge. Als ich ihr von den dicken Kühen, der nicht ansprechbaren Dorfbevölkerung, den kiffenden Hippies und den tollen schwarzen Frauen berichtete, glaubte sie mir kein Wort.
»Du warst fast drei Wochen weg«, meinte sie, »was habt ihr die ganze Zeit in dem kleinen Land getrieben? Habt ihr die Königin gesehen? Habt ihr zumindestens das Schloss von Hamlet besichtigt?«
»Ja, das haben wir«, antwortete ich stolz. Dabei war mir dieses Gebäude überhaupt nicht in Erinnerung geblieben. Die drei Wochen waren überhaupt wie im Schlaf vergangen. Im Nachhinein bezweifelte ich sogar selbst, ob wir tatsächlich in Dänemark gewesen waren. Vielleicht hatten wir aus Versehen die falsche Insel erwischt, eine, die von lauter Verrückten bewohnt war. Immerhin war der Name des Landes dort nirgends angeschrieben gewesen.
Andrej und ich hatten erst einmal die Nase voll von der Welt. Allerdings träumte ich lange noch von der Mitfahrzentrale: Dann saß ich immer noch dort auf dem Hof und wartete auf das richtige Auto.
In Berlin fanden derweil große Veränderungen statt. In den Bezirk Prenzlauer
Weitere Kostenlose Bücher