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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Berg zogen viele Schwaben. Sie eröffneten Nachtklubs, Kneipen und Hotels, brachten neue Sitten in den Bezirk und machten die Einheimischen unsicher. Meine Frau Olga und ich begannen, die Kneipenlandschaft rund um unser Haus zu erkunden. Eine neue, unbekannte Welt tat sich für uns auf. Sie war der unseren so nahe, nur ein paar Schritte von unserer Wohnung entfernt. Bei unseren Ausflügen lernten wir neue interessante Leute kennen, zum Beispiel Thomas, der in der Nähe der Schönhauser Allee ein Restaurant eröffnet hatte.
     
    Verdorben in Sibirien
     
    Jede Kneipe übernimmt früher oder später alle Charakterzüge und Eigenschaften ihres Besitzers. So geschah es auch bei dem Restaurant unseres neuen Bekannten Thomas - es wurde ihm sehr ähnlich. Thomas war zusammen mit seinem Freund, einem grünen Bundestagsabgeordneten, aus Stuttgart gekommen. Die beiden Männer wollten ihre langjährige Beziehung nicht der Karriere und dem Beruf opfern und waren deswegen zusammen nach Berlin gezogen.
    Das Restaurant von Thomas lockte die Besucher mit einer gehobenen multikulturellen Küche. Mindestens zwanzig Sorten Maultaschen standen auf der Speisekarte: Maultaschen in Brühe, Maultaschen mit Großgarnelenfüllung, scharfe Maultaschen auf mexikanische Art und China-Maultaschen, die an platt geklopfte Frühlingsrollen erinnerten. Die Wände waren voller Fotos mit halb angezogenen männlichen Models, die mit aufgesetztem Erstaunen im Gesicht ihre eigene Muskulatur betrachteten, als hätten sie ihre Bi- und Trizeps gerade eben entdeckt. Das Lokal von Thomas wirkte also wie eine als Maultaschen-Restaurant getarnte Schwulenkneipe. Meine Frau und ich gingen aber immer wieder gern hin, nicht weil wir auf Maultaschen standen, sondern weil Thomas uns immer wieder tolle Geschichten erzählte. Eines Tages fragte er uns, ob wir - »als Russen« - seinem Freund nicht ein bisschen Russisch beibringen könnten,»damit er sich in Sibirien mit der Bevölkerung verständigen kann.«
    »Wieso will dein Freund nach Sibirien, er sitzt doch im Bundestag?«, wunderten wir uns.
    Sein Freund, erklärte Thomas, sei in erster Linie ein großer Fahrradfan und Weltverbesserer. Jedes Jahr unternehme er eine große Fahrradtour. Bis nach Marokko im Süden und Stockholm
    im Norden sei er mit seinem Rad bereits vorgedrungen. Und überall setze er Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung. Dadurch sei er sehr bekannt geworden, und hunderte von Zeitungen auf der ganzen Welt hätten lobende Aufsätze über diesen mutigen Deutschen verfasst.
    Das sei alles ganz toll, aber Sibirien sei nicht Marokko und schon gar nicht Stockholm, erwiderten wir. Sibirien habe einen schlechten Ruf. Millionen Menschen wären im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts nach Sibirien verschleppt worden, und nur wenige hätten es geschafft zurückzukommen. Ich bezweifelte außerdem stark, dass es überhaupt technisch möglich wäre, mit dem Fahrrad nach Sibirien zu fahren, es gab in Russland nämlich keine Radwege, die nach Sibirien führten.
    »Verunsichert mich nicht, diese Reise ist schon längst beschlossene Sache«, verteidigte Thomas seinen Freund. »Martin hat sie sich fest vorgenommen, in mehreren Zeitungen hat er die Reise bereits angekündigt, also fährt er auch hin wie geplant: in sechs Wochen nach Sibirien und dann zurück. Er braucht nur ein wenig Russischunterricht.«
    Gut, sagten wir und verabredeten ein Treffen mit Martin. Er war ein überaus freundlicher, etwas molliger Mann mit einem sorgfältig geformten Bärtchen und einer teuren Brille. Sein Fahrrad, das er gleich mitgebracht hatte, machte auch keinen billigen Eindruck: Es war ein spezialangefertigtes Mountainbike.
    Martin zeigte uns als Erstes seine Reiseroute auf der Karte: über Polen nach Weißrussland sollte es gehen, dann durch das ganze Land Richtung Uralgebirge bis nach Swetlogorsk und anschließend zurück nach Deutschland. Die Autobahn wollte er meiden und stattdessen auf Landstraßen von einem Dorf zum anderen fahren. Auf diese Weise käme er besser mit der Bevölkerung in Kontakt. Dazu brauchte er jedoch mindestens minimale Russischkenntnisse.
    Vom ersten Augenblick an war mir klar, dass dieser Politiker einen Knall hatte. Ständig hatte er ein merkwürdiges Grinsen im Gesicht.
    »Wie heißt auf Russisch: » Gnädige Frau, darf ich bei Ihnen übernachten?««, fragte er mich. Außerdem wollte er wissen, wie man bei uns »Ich komme als Freund« und »Ich bin hungrig« sagt. Ich war mir ziemlich

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