Die Reise zum Ich
verschatteten Höhe
nähere, sehe ich, daß er die Backen aufbläst und das Gesicht verzerrt, als wolle er mich erschrecken und verscheuchen. Er bewegt seine Arme wie ein Gorilla. Und plötzlich geht mir auf, daß dies mein entstellter, zahnloser alter Vater ist. Und als ich mich ihm weiter nähere, sehe ich, daß dieses Gesicht nur noch aus Knochen besteht, alles Fleisch
ist dahin.
Ich fliege näher und näher, bis ich das große Denkmal erreiche. Ich fliege durch eine der Augenhöhlen hindurch (es zeigt sich, daß das Ganze aus einer kompakten Masse besteht) und
komme auf der anderen Seite wieder heraus. Ich blicke zurück und erkenne, daß dieses Denkmal innen hohl und nichts als eine leere Fassade ist. Jetzt verschwindet diese Ruine, nur
der Sitz ist noch da. Ich begreife, dies ist der leere Platz, den
Vater hinterlassen hat, und so nehme ich ihn ein. Ich bin nicht
der Besitzer der Welt, doch ich habe den Platz meines Vaters
eingenommen. Und ich erkenne, daß man die Welt besitzt,
wenn man ein Vater ist. Eine Woge von Lachen und Weinen
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läßt mich erzittern. Ich lache und weine lange Zeit. Ich fühle
mich von einer großen Unruhe befreit. Ich war selig. Später
fragte ich mich: Welchen Platz kann mein Vater mir hinterlassen haben? Was war es, das ich an ihm bewunderte? Und mir fiel ein, daß er auf dem Gebiet der Pelzherstellung eine
Kapazität gewesen war, ein Meister seines Faches. Das hatte
ich immer respektiert. Ich fühlte mich erleichtert und mußte
daran denken, ob ich wohl auf dem Gebiet der Bildhauerei
die gleiche Vollkommenheit erreichen würde, und daß die
Skulptur selbst, auf einer anderen Ebene, eine Art Erbe
meines Vaters sei.
Jetzt durfte ich meine Augen öffnen und mich von meinem
Bett erheben. Jetzt habe ich meinen Platz. Niemand kann
mich ausschließen, nirgendwo. Ich kann meine Ängste besiegen, ich kann sie durchstehen.
Ich habe meinen Platz.
Ich brauche noch nicht einmal zu gehen oder zu kommen, zu
vergessen oder Ghettos zu verriegeln. Ich habe meinen Platz,
drinnen, draußen, neben wem ich immer mag.
Ich brauche um nichts zu bitten, denn ich habe einen Platz.
Ich brauche nicht zu kommen und zu gehen, zu fliehen, zu
entkommen, da ich meinen Platz habe.
Alles ist Teil von mir. Ich bin. Nicht, daß ich bildhauern
müßte. Ich werde meine Arbeit tun, wo immer und was
immer es auch sei, denn da sie ein Teil von mir ist, werde ich
nicht symbiotisch an sie gebunden sein. Weder X noch Y
werden mich an sich ziehen, da ich dort bin wo ich wirklich
bin.
Ich brauche nicht mehr zu fliehen, vor nichts, sei es angenehm oder unangenehm, verhaßt oder schrecklich, wie auch immer. Ich habe ja stets die Möglichkeit, jenseits zu gehen,
ins ewig Gültige - das heißt nach innen.
Ich genieße es, wie es in mir widerhallt: Ich habe meinen
Platz, ich habe meinen Platz, ich habe meinen Platz.«
Der therapeutische Gewinn der Sitzung für den Patienten geht
aus seinen Worten nur zu deutlich hervor. Bleibt mir nur noch
hinzuzufügen, daß er von Dauer war.
Auch in dieser Sitzung zeigten sich einige Elemente, die wir
schon früher in diesem Kapitel als für Ibogain typisch erwähnten: Tiere (menschenfressende Ungeheuer oder der gorillahafte Vater), als Symbol des Trieblebens, Imaginationen sexuellen Gehalts (die »Waschung« der Mutter), der Flug zum Licht 203
(der Vogel, der sich dem weißen Sonnenlicht nähert und der
Aufstieg der Mutter in ein Lichtreich), Gefühle von Groll,
Einsamkeit, Ausgeschlossensein (»Ich fühle mich ausgeschlossen aus deiner Welt«, »du bist eine Hure, eine Fremde«) und vor allem der ödipale Komplex, in den sexuelle und aggressive
Tendenzen eingebettet sind.
Vergleichen wir den ersten, von ihm als unvollständig empfundenen Traum des Patienten mit dem zweiten, der in Freudentränen über seine »Ankunft« endete, erkennen wir, daß der erste sozusagen eine Art Blaupause für den zweiten, für das
Gebäude selbst war - ein zweidimensionaler Vorgang im Vergleich zu einem dreidimensionalen. Im ersten wird die Frage seines Verhältnisses zu seiner Mutter sowie die Stellvertretung
des Vaters angeschnitten, seine eigenen Lebensfragen jedoch
nur zum Teil, auf die Herausforderung wird noch nicht reagiert.
Anders als die relativ indifferenten Imaginationen des ersten
sind die des zweiten Traums mit Triebsymbolik befrachtet, für
die er sich verantworten muß, indem er die sich entfaltende
Szene zum Ergebnis einer echten Entscheidung
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