Die Reise zum Ich
die Euphorie wahrscheinlich in einer Flut von Ängsten und Ressentiments untergehen. Doch wehrt sie solche Störungen unbewußt ab, um
in differenten Erfahrungsbereichen Klarheit gewinnen zu können. Andere mögen Ausfälle auf anderem Gebiet haben. Da gibt es solche, die alles als schön sehen, ausgenommen sich
selber, so daß der Gedanke an ihr persönliches Leben oder
schon allein der Anblick ihres Spiegelbildes ihren Himmel in
eine Hölle verwandelt. Andere wiederum mögen der Wahrnehmung von Menschen und dem Gedanken an sie ganz ausweichen, wie aldous huxley bei seinem ersten Selbstversuch mit Meskalin, den er in Die Pforten der Wahrnehmung schildert.
Wieder bei anderen fließt alles wunderbar dahin, solange sie die
Augen geschlossen halten und jeden Kontakt zur Außenwelt
vermeiden; andere dagegen erleben die Außenwelt höchst an-
genehm, unterlassen es aber, sich zu isolieren und die Augen zu
schließen aus Furcht vor der Entfaltung ihrer Fantasie.
All diese Formen des Ausweichens sind ihrem Wesen nach
Ausdruck der Phobien der Alltagspersönlichkeit, und will man
ihnen zu Leibe rücken, steht man wie stets in der Psychotherapie vor der Wahl zwischen zwei Strategien: Entweder versucht man die Blockierungen zu umgehen, um die gesunden Aspekte
der gestörten Persönlichkeit zu verstärken und zu fördern, oder
man versucht die Blockierungen zu sprengen, indem man sich
hineinstürzt in das Gewirr der Verzweiflung und gemiedenen
Gedanken. Entscheidet man sich für die erste, ist damit eine
Abkürzung des Weges in den Himmel verbunden, durch die
sich aber nach der Rückkehr auf die »Erde« an der Situation
36
nichts wesentlich ändert oder besser verstanden wird. Entscheidet man sich für die zweite Strategie, die irdischen Nöte anzupacken, wobei nur geringe Aussicht besteht, sich über sie zu erheben, ist die Chance, etwas zu verändern, weit größer. Diese
Wahl zwischen den beiden Arten der Erfahrung entspricht der
Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, nämlich der sehr wertvollen, durch ein offenes Fenster blicken zu können, oder der, ein daneben liegendes Fenster zu öffnen, dessen Läden zur Zeit
noch geschlossen sind. Der Erfolg dieses letzteren Unternehmens wird vermutlich darin bestehen, eine Handbreit mehr Licht einzulassen; es wird nicht den Blick auf die Landschaft
freigeben, die man aus dem bereits geöffneten Fenster zu überblicken vermag. Doch wird diese Strategie insofern bleibenden Gewinn bringen, als es nun einen Ort mehr im Gehäuse gibt,
von dem aus man den Blick in die Weite genießen kann.
Das soll nicht bedeuten, der ersten Art der Erfahrung fehle es
an
persönlichkeitsveränderndem
Wert. Die Macht
inneren
Werterlebens kann einem Menschen die Kraft verleihen, und
sogar den Wunsch in ihm auslösen, die Blockierung, die weiteren Werterlebnissen im Wege steht, beiseite zu räumen. Der Anblick des Ziels ist es, der den Wanderer voranzieht, denn je
mehr er sich ihm nähert, desto besser kann er es sehen. Und
wiewohl ein junges Stämmchen vor Hasen geschützt werden
muß, kann doch der ausgewachsene Baum dazu dienen, einen
Elefanten im Zaum zu halten. So kann man das Umgehen der
Konflikte ruhig mitansehen, wenn man sich nur nachdrücklich
um Entwicklung und Äußerungsfähigkeit der Persönlichkeit
bemüht. Dann kann die gesunde Entwicklung im Lauf der
psychotherapeutischen Behandlung sich auf dem Wege transzendenter Erfahrung auf die gestörten Funktionsbereiche ausdehnen und sie schließlich beheben.
So gibt es zwei entgegengesetzte Möglichkeiten zur psychologischen Heilung, die aber miteinander vereinbar sind und sich sogar gegenseitig ergänzen.
In der visionären Erfahrung sieht die christliche Theologie eine
Gnade, eine Gabe, die sowohl dem Heiligen als auch dem
Sünder zuteil werden kann, die der einzelne entweder zu nutzen
versteht oder zu nutzen versäumt. Das Erlebnis psychischer
Disharmonien dagegen ist die via purgativa , der zu ersteigende
Berg. Je höher der Pilger auf diesem Berg der Läuterung gelangt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er der nie versiegenden Himmelsgabe teilhaftig wird. Je größer die Gna37
dengabe,
desto
sicherer
wird
sein
Orientierungsvermögen,
seine Hoffnung, seine Zuversicht und sein Wille, den Berg zu
erklimmen.
Beide Wege finden wir in den spirituellen Praktiken in aller
Welt reich vertreten. Einige legen das Schwergewicht auf die
unmittelbare Erkenntnis der Realität und die
Weitere Kostenlose Bücher