Die Reise zum Ich
Wartezeit nichts. Ich hielt dies für subjektiven Widerstand gegen die zu erwartende Erfahrung und nicht für eine physiologische
Drogenresistenz.
Ich dachte mir, daß der Patient nach außen hin seine übliche
formelle Haltung zu bewahren verstand, während ein anderer
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Teil
seiner
Persönlichkeit
die
»Drogenerfahrung«
machte,
ohne daß er dessen innewurde. Unsere verbale Kommunikation schien momentan nicht dazu beizutragen, jenen Erfahrungsprozeß auszulösen, daher nahm ich zu nicht-verbalen Mitteln Zuflucht. Ich bat ihn, sich körperlich ganz zu entspannen und jedem seiner Bewegungsimpulse zu folgen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, und so ging er wieder zur
Couch zurück, von der er sich ein paar Minuten zuvor erhoben
hatte.
Nun meldete er ein leichtes Gefühl der Schwere, das Bedürfnis,
sich mit seinem vollen Gewicht auszustrecken und tief auszuatmen. Ich wies ihn an, diesem Bedürfnis nachzugeben und besonders lange und gründlich auszuatmen. Nach einer Weile empfand er das Bedürfnis, Rückgrat und Körper zu krümmen,
seine Beine und Oberschenkel anzuziehen, Arme und Kopf zu
beugen und sich zusammenzurollen. Ich redete ihm zu, diesem
Impuls immer weiter zu folgen, bis er etwa drei Minuten später,
wie ein Fötus zusammengekrümmt in schallendes Gelächter
ausbrach. Ganz plötzlich waren wir mitten drin in der »Drogenerfahrung«. Lachend begann er nun Englisch zu sprechen; er genoß es, seine Körperlichkeit bewußt zu empfinden. Auch am
folgenden
Tag beschrieb
er sein Erlebnis in englischer
Sprache:
»Ich war ganz und gar ich selbst. Komisch, daß ich Englisch
sprechen mußte. Ich lachte über diesen Mann, den Mann, der
ich war. In jenem Mann, den ich lachen fühlte, steckte ein
anderer Kerl. Ich war tief, tief in mir selbst, als ich . . . mein
wahres Selbst fand.«
Dieser Text stammt wortwörtlich vom Tonbandgerät, das ich
während der Behandlung laufen ließ. Sein tiefes Glücksgefühl
war darauf zurückzuführen, daß er sich selbst spürte, was buchstäblich zu verstehen war.
»Ich spürte meine Schultern, meine Armmuskeln, meinen
Bauch, meinen Rücken; und weiter spürte ich - meine Beine,
meine Füße. Das war ich!«
»Und ich war ein richtiger Mann, gewissermaßen ein schöner
Mann, extrem maskulin. Mann, war das ein Körper. . .ein
Abbild des Mannes, der drinnen steckt.«
Sein Leben lang hatte er sich als unzulänglich empfunden, in
jeder Hinsicht an sich gezweifelt, und nun wußte er, daß er sich
das lediglich eingebildet hatte. Er hatte geglaubt, daß mit seinen Füßen etwas nicht in Ordnung sei. Nun erkannte er, daß all 44
dies einem Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit für die eigene
Person zuzuschreiben war. Etwa einen Monat später sagte er
dazu:
»Dieses Sich-Selbst-Spüren, Sich-Selbst-Entdecken, in jedem Teil des Körpers, war eine Materialisation meines Selbst, etwas, das mir wohl tat, unter dem ich aber gleichzeitig litt. Es tat mir wohl, weil ich ich selbst war, ich litt, weil ich mich so lange Zeit geringgeschätzt, mich für schlechtgehalten
hatte, - der unzureichenden Wahrnehmung meiner eigenen
Person zufolge. Ich tat mir leid.«
Dieses Körpergefühl dauerte während der Sitzung an, während
er etwa eine halbe Stunde weiterredete, und bald (ganz gegen
seine übliche Gepflogenheit) streifte er seine Schuhe ab, öffnete sein Hemd, lockerte seinen Gürtel. Er fuhr fort, seine angenehmen Empfindungen zu kommentieren, er sei so normal, symmetrisch und gut gebaut - eine gelungene Verkörperung seiner selbst in seiner ganzen Individualität und Einmaligkeit. Der Tastsinn wäre der zuverlässigste der Sinne; er ermögliche den unmittelbarsten Kontakt mit der Wirklichkeit in ihrer ganzen Fülle. Eingehend ließ er sich über die Begrenztheit der
anderen Sinne und des Intellekts aus, über die Unzulänglichkeit
analytischen Denkens und logischer Konstruktionen, wenn es
darum ging, die höchste Realität zu erfassen. Wie sei dieser
reine und simple Erkenntnisvorgang beschaffen? Nur in Gott
sei er möglich. Was für ein Wunder, welche unendliche Schönheit sei in Gott! Erstes und letztes Wesen, von dem alles ausging und zu dem alles hinströmt. Zwei Stunden redete er
ununterbrochen so weiter, über die Evolution des Menschen in
seiner Suche nach Gott - über die alten Griechen, die Römer,
die Phönizier, über Kapitalismus, über die Entfremdung des
modernen Menschen und die Notwendigkeit, für alle Probleme
Lösungen zu
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