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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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projiziert hatte, weil er es nicht über sich brachte, seine Schuld auf sich zu nehmen.
    Eine kurze Niederschrift, die er mir einige Tage später zukommen ließ, schloß mit folgenden Worten:
    »Ich tat unrecht und muß es nun wieder gut machen. Hier
    bin ich, Ich , mit der Verantwortung für dieses Ich. Ich nehme sie auf mich, restlos, meine Verantwortung für mich selbst.«
    Dieser Bericht ist meiner Ansicht nach insofern von besonderem Interesse, als er zur Erhellung vieler anderer unter Hyp80

    nose oder im medialen Trancezustand zutage tretenden »Erinnerungen an frühere Inkarnationen« im Sinne der MDA-Wirkung beitragen kann, die zu erklären hier mein Anliegen ist.
    Wie unter Hypnose erreicht man auch mit MDA Zustände der
    Hypermnesie und Regression, doch scheinen auch unrichtige
    (projizierte) Erinnerungen und insbesondere Identifikationen
    mit ihnen aufzutreten, worin man einen vorübergehenden
    Identifikationswechsel sehen kann. Regression und Identitäts
    übertragung haben fast ausnahmslos dissoziativen Charakter,
    da der Mensch gemeinhin dazu neigt, zu vergessen, zu leugnen
    oder die Validität der »erinnerten« Vorgänge für unvereinbar
    mit seinen Wertvorstellungen zu halten.
    Paradoxerweise stellt aber das Erleben der Ich-heit oder individualisierten Selbstheit die Krönung der erfolgreichen MDA-Erfahrung dar und ist insofern geradezu das Gegenteil von
    Dissoziation. Dabei tritt genau jener Zustand psychischer Kohäsion oder seelischen Einung ein, aus dem heraus der Mensch, wie im letzten Fall, zu sagen vermag, »ich nehme sie auf mich,
    meine Verantwortung für mich selbst.«
    Man kann daher das Ganze als einen Prozeß der Integration via
    Dissoziation sehen, oder, teleologischer ausgedrückt, als Dissoziation im Dienst der Integration. Nur wenn die Person, wie im Zustand der Hypnose, ihre normale Identität vorübergehend
    vergißt und sozusagen scheinbar nicht anwesend ist, wird sie das
    eigene Verbot mißachten und aus einer anderen Perspektive in
    ihr Leben Einblick nehmen, die für gewöhnlich im Wachbewußtsein nicht zugelassen wird. Dieses vorübergehende Leugnen, dieses »Das bin nicht ich« ist indes der Weg, der zur Realisierung der Wahrheit führt.
    Wenn also wie bei unserem letzten Beispiel der Identitätswechsel Aspekte der wahren Identität im gegenwärtigen Leben offenlegt (und über sie Aufschluß gibt), so stellt sich die Frage, ob das nicht für alle Erinnerungen, auch im Wachzustand gilt,
    mögen sie zutreffen oder nicht. Denn wenn uns die Vergangenheit etwas angeht, so werden höchst wahrscheinlich auch die Hinweise für uns von Interesse sein, die wir ihr für die Gegenwart entnehmen. Die plötzliche Erleichterung von jenem Druck, der seit seinem Blick in die prä-natale Phase auf unserem Patienten gelastet hatte, war eine Reaktion auf die Veränderung seines jetzigen Zustands. Dieser Wandel trat auf seiner bewußten Ebene in dem Augenblick in Erscheinung, als sein
    Abscheu vor seinem Großvater beziehungsweise seiner frühe81

    ren Lebenshaltung von der Vorstellung abgelöst wurde, er habe
    jemandem Gewalt angetan. Nachdem sich sein Abscheu gegen
    die eigene Person gewandt hatte, verschwanden Abscheu und
    Schwäche. Denn nun ist es ihm möglich, die Schuld auf sich
    zu nehmen, und wie sich zeigt, waren seine »Vergehen« gar
    nicht so schlimm. Mehr noch, wir dürfen mit Recht annehmen,
    daß sein früheres Handeln weniger wichtig ist, als sein jetziges.
    Dank seines intensiven Verlangens, sein Unrecht wieder gutzumachen, kann er die von ihm verurteilten früheren Neigungen hinter sich lassen. So ist, was eine Akzeptierung des Vergangenen im Blick auf die Zukunft zu sein scheint, in Wirklichkeit ein Wandel der Motivation beziehungsweise der jetzigen Persönlichkeit.
    So kann die Illusion des Sonderseins die Verbindung zur Bewußtwerdung der Selbstheit hersteilen und dem Individuum aufgrund seiner zeitweiligen Verantwortungsfreiheit ein Gefühl der Sicherheit gewähren, bis er entdeckt, daß er durchaus in der Lage ist, das auf sich zu nehmen, was er bisher als
    untragbar von sich gewiesen hatte. Und die Illusion, ein gewisser Punkt gehöre der Vergangenheit an, kann zu der Erkenntnis führen, daß sie bis in die Gegenwart überlebte. Ebenso kann
    der erinnerte Inhalt eine Lüge sein, die zur Wahrheit führt. Auf
    das Pseudo-Erinnerungsvermögen unseres Patienten an ein
    früheres Leben folgte das Sicherinnern an den Charakter seines
    Großvaters, danach die Vorstellung,

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