Die Reise zum Ich
Ist jedoch der Deckel einmal gelüftet, stellt sich paradoxerweise heraus, daß nichts darunter verborgen war. Oder, anders ausgedrückt, das, was verdeckt war, ist Nichts. Denn über den Akt des Verdeckens besteht kein Zweifel, mag das Behältnis auch
noch so leer sein. Dies Paradox ist meiner Meinung nach der
eine Schlüssel zum Verständnis des ganzen therapeutischen
Ablaufs: man muß es wagen, nach dem Skelett im Wandschrank zu sehen, um festzustellen, daß es nicht da ist.
Die Bereitschaft, sich in psychotherapeutische Behandlung zu
begeben, ist an sich schon ein Zeichen der Bereitschaft, den
Deckel der Büchse der Pandora zu lüften, gleich, was darunter
hervorkommt. In noch stärkerem Maß bedeutet es die Entscheidung, sich der Drogenerfahrung auszusetzen und die Schleier des alltäglichen Bewußtseinszustands zu heben. Doch
meiner Meinung nach bringen nur wenige es fertig, diesen
letzten Schritt zu tun, nur wenige, die es »wirklich wissen wollen«. Schon die Konfrontation mit dem Symbol oder die symbolische Verarbeitung eines Problems, stellt eine große Herausforderung dar und ist fraglos ein heilsames Unternehmen.
Doch jenseits dieses Kampfes mit dem Drachen erwartet uns
die Entdeckung, daß der Drachen eine Täuschung war. Nebenbei gesagt, dies zu erkennen heißt ihn wirklich zu töten.
Unser Patient war nun so weit, daß er auch das Schlimmste an
sich wahrzunehmen vermochte, nachdem er den Makel, ein
Gewalttäter zu sein, akzeptiert hatte. Was sah er tatsächlich?
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Ein gewisses Maß an Destruktivität bei der Verfolgung bestimmter Freuden. Das Urteil über sich selbst fiel streng aus, doch nicht ganz ohne versöhnlichen Ton: »Hier bin ich, ich
trage selbst die Verantwortung. Ich nehme sie auf mich«. Entscheidend ist: Er war jetzt imstande , sie auf sich zu nehmen.
Daß er gefehlt hatte, war nicht mehr untragbar. Vielmehr fand
er es leichter, seine Fehler einzusehen, als sich stellvertretend
mit etwas konfrontiert zu sehen, was er insgeheim mehr fürchtete: Die Vergehen aus einer früheren Inkarnation, die Vulga-rität seines Großvaters, seinen eigenen Gewaltakt. Je weiter er
von seiner gewohnten Haltung abrückte, diese Sache von sich
zu weisen, je näher kam sie auf ihn zu, doch schien sie damit an
Wichtigkeit zu verlieren. Zwar blieb das Vergehen nach wie vor
das gleiche, doch fiel es ihm nun viel leichter, seine Fehlhandlung wahrzunehmen. Mehr noch, es gab ihm Auftrieb und seinem Leben ein Ziel. »Ich tat unrecht und muß es nun wieder
gutmachen. Ich nehme die Verantwortung voll auf mich.«
Also besteht die erfolgreiche MDA-Sitzung häufig in einem
Prozeß der Wahrheitsfindung anhand der Symptome des Irrens. Denn meistens ist Irrtum ein Schatten der Wahrheit, ein Schatten, der auf seine Quelle verweist. Und haben wir seine
Quelle einmal entdeckt, stellen wir fest, daß dieser Schatten mit
dem langen Schatten des Abendlichts etwas gemeinsam hat: er
ist viel größer als der Gegenstand, der ihn verursacht.
Wenn das Vorangegangene nicht nur in bezug auf die MDA-
Behandlung, sondern auf die Psychotherapie ganz allgemein
zutrifft, oder sogar auf das Leben als solches, so in besonderem
Maß auf den Vergleich von MDA mit anderen Drogen, von
denen in diesem Buch die Rede ist. Die MDA-Erfahrungen
zielen auf den Bereich der Lebensgeschehnisse ab, und die
diesbezügliche Wahrheit ist eine faktische. Die Domäne des
MDDA hingegen ist, wie wir sehen werden, eher im Bereich
gegenwärtiger Empfindungen und weniger der Vergangenheit
zu finden, und wenn wir hier von Gefühlen sprechen, geht es
uns weniger um ihre faktische Wahrheit, als um ihre Tiefe und
Echtheit. Der Bereich des Harmalin dagegen ist die Welt der
visuellen Symbole archetypischen Inhalts, und auch hier, wo
vom Mythischen die Rede ist, denken wir nicht in Kategorien
der Wahrheit, vielmehr in denen der Schönheit und Offenbarungsqualität. Ibogain wiederum vermittelt nach Aussagen vieler Personen, die der Behandlung mit einer breiteren Skala von Psychopharmaka unterzogen wurden, die unmittelbare Erfah85
rung der Wirklichkeit. Indes ist der erreichte intensive Kontakt
von einer Qualität, die sich noch nicht beschreiben läßt und
weniger zur Klärung der Vorgänge beiträgt.
Von den verschiedenen psychotropen Agenzien stünde es
MDA am ehesten zu, die »Droge der Wahrheit« genannt zu
werden. Charakteristisch scheint hier ein aktives Mitwirken bei
der Wahrheitsfindung zu sein, nicht nur in der
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