Die Reise zum Ich
eigenen
besonderen
Lebensumständen.
Die
unmittelbare
Erfahrung
der Wirklichkeit scheint in diesen durch MMDA ausgelösten
Zuständen ohne Schmerz oder andere Nebenempfindungen
erlebt zu werden; das Glücksgefühl scheint nicht von der jeweiligen Situation abzuhängen, sondern vom Sein an sich, und in diesem Geisteszustand erscheint alles gleichermaßen liebenswert.
Mag auch MMDA eine synthetische Mischung sein, erinnert es
doch an das Nepenthe (»nicht-Leiden«) homers, den Trank,
den helena dem telemachus und seinen Gefährten reicht,
damit sie ihre Leiden vergessen.
»Aber ein Neues ersann die liebliche Tochter Kronions.
Siehe, sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis.
Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet, Dann
benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen, Wär’ ihm
auch sein Vater und seine Mutter gestorben, Würde vor ihm
sein Bruder und sein geliebtester Sohn auch Mit dem
Schwerte getötet,
Daß seine Augen es sähen.
Siehe, so heilsam war die künstlich bereitete Würze, Welche
Helenen einst die Gemahlin Thons, Polydamna, In Aigyptos
geschenkt. Dort bringt die fruchtbare Erde Mancherlei Säfte
hervor, zu guter und schädlicher Mischung; Dort ist jeder ein
Arzt und übertrifft an Erfahrung Alle Menschen; denn wahrlich, sie sind vom Geschlechte Paieons.«1
Welche
therapeutischen
Begleiterscheinungen
oder
Zusammenhänge sich aus dieser vorübergehenden Erhellung ergeben
können, läßt sich am Fall eines achtundzwanzig Jahre alten
Patienten verdeutlichen, der mir nach sechsjähriger, nur mäßig
erfolgreicher Behandlung durch einen anderen Psychiater von
ihm überwiesen worden war.
Der Anlaß des Patienten, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, bestand nach wie vor in chronischen Angst- und Unsicherheitsgefühlen anderen Menschen, insbesondere Frauen gegen
über, die von häufigen Depressionen begleitet waren. Nach
einem ersten Gespräch ersuchte ich den Patienten, mir eine
schriftliche Schilderung seines Lebens zu geben, was ich im
Hinblick auf den Wert solchen Tuns wie auch auf eine Verkür-
1 homer Odyssee, 4 . Gesang. Vers 2 1 9 -2 3 2 , Übers, joh. h. voss.
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zung der Behandlungszeit häufig zu verlangen pflege. Als er
fortging, sagte ich: »Wenn sich nichts Neues ergibt, kommen
Sie erst wieder zu mir, wenn Sie mit Ihrem Lebenslauf fertig
sind. Doch wenn Sie sich wirklich ins Zeug legen, werden Sie
mich vielleicht nachher nicht mehr brauchen«.
Erst vier Monate später meldete er sich wieder und legte mir
einen sehr ausführlichen Lebensbericht vor. Mir war sofort
wieder gegenwärtig, was ich ihm seinerzeit gesagt hatte, denn
tatsächlich war das Niederschreiben für ihn ein Erlebnis ersten
Ranges gewesen und schien ihm nun einen Neubeginn zu verheißen. Beim Lesen begriff ich, in welchem Sinn, denn nur selten hatte ich es mit einem so schwer unter den Erlebnissen
seiner Vergangenheit leidenden Patienten zu tun gehabt und
auch nur selten mit einem Bekenntnis von so heroischer Offenheit.
Einen großen Raum nahm in dieser Lebensbeichte von Kindheit an das Sexualleben ein, und sie endete mit der Darstellung jener Aspekte seines jetzigen Lebens, die mit seiner inneren
Unsicherheit in Zusammenhang standen. Zum einen fühlte er
sich bedrückt, weil die Praxis des analen Geschlechtsverkehrs
solche Anziehungskraft für ihn hatte und machte sich Sorge,
Frauen könnten darin eine Neigung zur Homosexualität sehen. Andererseits liebte er es, während des Onanierens auch seinen Anus zu stimulieren und schämte sich dieser Abweichung.
Befragt, wie weit er sich selbst für homosexuell halte, antwortete er, er halte sich keineswegs für homosexuell, leide aber unter der »irrationalen« Furcht, andere könnten ihn dahingehend klassifizieren. Ob seine Analerotik auf eine latente homosexuelle Tendenz schließen lasse, könne er nicht beurteilen.
Schon allein der Gedanke erfüllte ihn mit Schrecken.
Während wir auf die Wirkung des MMDA warteten, äußerte
der Patient die Besorgnis, sich lächerlich zu machen; doch zu
seiner Überraschung trat nach und nach der für die angenehmeren Erfahrungen mit dieser Droge typische Zustand heiterer Gelassenheit ein.
»Als ob ich nichts brauche, als ob ich mich nicht bewegen
wollte; als ob ich im tiefsten und absoluten Sinn befriedet sei,
als sei ich dicht an einem Ozean, doch noch jenseits davon;
als hätten Leben und Tod nichts zu
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