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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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bedeuten und als hätte
    alles einen Sinn; für alles gab es eine Erklärung, und niemand
    hatte sie gegeben oder nach ihr gefragt - als sei ich lediglich
    92

    ein Pünktchen, ein strahlender Tropfen in einem Raum voller Wonnen.«
    Nach einer Weile rief er aus:
    »Dies ist ja der Himmel, und ich hatte die Hölle erwartet!
    Kann das wahr sein? Oder mache ich mir etwas vor? Schon
    jetzt scheinen mir alle meine Probleme nur Täuschung zu
    sein.«
    Ich antwortete ihm, dies sei durchaus möglich, und wären seine
    Probleme tatsächlich die Frucht seiner Einbildung, würde es
    gut sein, sich dies eindringlich zu verdeutlichen, damit er sich
    später dessen entsinne. Ich schlug ihm vor, seine gegenwärtige
    Gemütsverfassung mit der gewohnten in Vergleich zu setzen
    und zu versuchen, sich über den Unterschied klar zu werden.
    Der Unterschied war ihm vollkommen klar. Denn die Droge
    hatte den Kritikaster in ihm ausgeschaltet, den Teil seines Wesens, den wir in den vorangegangenen Gesprächen aufgedeckt hatten - jenen Tadler in ihm, der ihn nicht hinnahm, wie er
    war.
    Ich sagte ihm, er wisse nun, wie das Leben aussehe, wenn sein
    »Richter« künstlich in Schlaf versetzt werde. Doch würde er
    wieder erwachen - und dann sei es seine Sache, ob er es mit ihm
    aufnehmen wolle oder nicht. Er stimmte zu und so ging ich dazu
    über, ihn mit seinen Problemen zu konfrontieren und ihm Fotos
    von seinen Angehörigen vorzulegen, um seinen Geist auf die
    Sicht seines verdrängten, nicht-richtenden Selbst zu fixieren.
    Dabei wurde er sich der Realität seiner selbstquälerischen Neigungen im täglichen Leben noch deutlicher bewußt. Wie er es nachher ausdrückte:
    »Schon viel früher habe ich das bei der Selbstanalyse empfunden. Doch jetzt erkenne ich es deutlicher denn je, denn es handelt sich hier um eine Charaktereigenschaft mit allen ihren Attributen. Und sie hat sich auf mein Leben und auf meine Probleme - das erkenne ich jetzt - enorm ausgewirkt.«
    In den Tagen danach trat tatsächlich eine Veränderung aufgrund dieser Einsicht ein; der Patient identifizierte sich nicht mehr restlos mit der Verurteilung seiner Selbst, vielmehr gewann er eine gewisse Distanz, als sei sein Leben (sein eigenes Urteil) nunmehr frei, - es gab keinen Ankläger und auch keinen Beklagten mehr.
    Blicke ich in seine Notizen, aus denen zu zitieren er mir freundlicherweise erlaubte, stelle ich fest, daß bis zum Ende des vier-93

    ten Tages nach Einnahme von MMDA eine nahezu reibungslose Überführung des erstmals mit Hilfe dieses chemischen Mittels erlebten und erreichten Gemütszustands ins alltägliche
    Leben stattgefunden hatte. Am fünften Tag fühlte er sich ein
    paar Stunden lang deprimiert, erholte sich jedoch, nachdem er
    seine Tageseintragung gemacht hatte:
    »Ich war in jener Mitte, der Mitte meines Selbst, und ich
    erkannte, daß sie mir niemals verloren gehen werde. Ich
    brauchte nur noch tief einzuatmen, lächelnd das Universum
    zu schauen und an die Bücherregale zu denken, die ich an
    jenem Tag inspiziert hatte.« Und er fährt fort: »Ich begriff,
    daß schon ein paar Sekunden und ein leeres Zimmer ausreichen, um sich über ein ganzes Leben Rechenschaft zu geben.
    Es macht nichts mehr aus, ob ich sterbe oder ob ich einen
    Arm einbüße. Es ist nicht eine Frage materieller Quantitäten. In null Minuten wird das Leben über alle Maßen schön -
    auf minimalem Raum und ohne einen Pfennig Geld, und
    auch ohne Gesundheit und ohne sozialen Erfolg und all
    diesen Schitt.«
    Hier fügte er hinzu:
    »Ich spüre es sogar heute noch. Zwar bin ich vom Mittelpunkt des Aleph schon etwas entfernt, dennoch ruhe ich weiterhin in jener Mitte, einer Mitte, die, wiewohl noch
    chaotisch, doch überall ist.«
    Meiner Meinung nach trifft diese Schilderung des Patienten ins
    Schwarze. Er erkennt, daß er trotz seines »Zentriertseins« im
    neu entdeckten Bereich der Selbstgenügsamkeit und Gelassenheit sich nichtsdestoweniger in einem gestörten Zustand befindet. Mit anderen Worten, er begeht nicht den Fehler (den manche Patienten und sogar Therapeuten bisweilen machen),
    die transzendente Erfahrung mit dem Erlebnis seelischer Ausgeglichenheit und Gesundheit zu verwechseln. Er ist sich seiner negativen Emotionen bewußt, die er als Teil seiner Neurose
    erkennt; auch reagiert er weiterhin in einer Weise, von der er
    weiß, daß sie nicht gerade wünschenswert ist. Aber ebenso wie
    der »Verlust eines Arms« ihm nichts ausmachen würde, quält
    er sich auch wegen

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