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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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mehr schlimm.«
    Denn die Einsicht, wie wir wohl wissen, ist nicht allein ein
    Denkprozeß, sondern eine Facette des Wandels. Nur wenn
    »nichts wichtig« ist, kann dieser Patient akzeptieren, ein »böser
    Junge« zu sein, der er nie gewesen ist, und sich Gedanken zu
    machen, die sich gegen seine Mutter richten, denn solche Gedanken sind von seiner Selbstbehauptung und Auflehnung nicht zu trennen.
    Das Äquivalent der Einsichtsbereitschaft ist in seiner Öffnung
    für Gefühle und Impulse zu sehen, die mit einem akzeptablen
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    Selbstbild unvereinbar wären. Jetzt sind sie tragbar, weil es
    noch etwas anderes gibt, auf das man sich stützen kann - jene
    »Mitte«, die den Patienten ermutigt, das ihm eigentümliche
    Verhalten zu bejahen. Wenn das Sterben nichts ausmacht,
    warum soll dann seine Wut etwas Schlimmes sein oder sein
    sonstiges Verhalten aufgrund seiner Konditionierung?
    Die folgende Stelle läßt seine wachsende Spontaneität erkennen und bildet eine Parallele zu dem im vorigen Zitat beschriebenen Erkenntnisakt:
    »Ich fühlte mich wieder einmal saumäßig, daß ich in diesem
    Haus lebe, in dem man unmöglich leben kann, bei solcher
    Hitze, mit dem alten Kurpfuscher und seinen Patienten, die
    den ganzen Tag an der Tür schellen, und dieser Alten, die
    immer nörgelt und nörgelt und nochmals nörgelt. Warum ich
    nicht in meinen Wagen steige und diese Stühle hole, und
    warum ich nicht diese andere Verrückte am Sonnabend aus
    der Klinik hole, und was würde Onkel John sagen, wenn er
    wüßte, daß ich nicht diesen und jenen Gang für sie tue? (Und
    das Haus ist voller Ameisen, fliegende, Millionen von ihnen,
    die mich am Schreiben hindern!) Aber ich habe es ihnen klargemacht: Scheißonkel John und die ganze Verwandtschaft, und was sie schon meinen! Ich brüllte sie an und schlug mit
    der Faust auf den Tisch, einmal, zweimal, dreimal, viermal.
    Und ich sagte ihr, sie solle nicht damit rechnen, daß ich ihr
    weiter zuhöre, bloß deshalb, weil ich es seit achtundzwanzig
    Jahren getan habe, und so weiter. Und sie verließ mit einer
    Tasche das Haus. Ich dachte, sie wollte zu ihrer Schwester
    übersiedeln, aber sie ist zurückgekommen; anscheinend ist
    sie nur zur Wäscherei gegangen mit ein paar Kleidern. Und
    ich fühlte mich saumäßig - schuldig, weil ich eine beschissene
    Frau haßte, die mich immer und ewig getriezt hat und mich
    immer weiter triezen will.
    Doch genug damit. Sie werden lernen müssen, mich in diesen
    letzten Tagen, die ich bei ihnen verbringe, nicht mehr zu
    plagen.«
    Die soeben geschilderte Episode kann als eine Entsprechung
    der »Verschlimmerung« bezeichnet werden, die häufig im Lauf
    der
    tiefenpsychotherapeutischen
    Behandlung
    ohne
    Drogen
    auftritt. ln Wahrheit wurde im Prozeß lediglich die Feindseligkeit des Patienten offengelegt, und dies mag der unvermeidliche Preis dafür sein, daß er sie voll zu durchleben und zu begreifen vermochte, ehe er sie nun hinter sich lassen kann. Die
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    heftige Ablehnung seiner Umgebung, die sich im Bericht des
    Patienten widerspiegelt, mag uns als das genaue Gegenteil jener für die »MMDA-Gemütsverfassung« typischen bedingungslosen Akzeptierung der Realität erscheinen. Wie kann sich jemand über Ameisen aufregen, der zu der Einsicht gelangte, daß ihm nicht einmal der Tod etwas ausmache? Wie dem auch sei, der Patient akzeptiert seine Wut in weit größerem
    Maße als vorher, anstatt sie zu verdrängen und in Form von
    Symptomen anderswo auftauchen zu lassen. Diese Wut ist als
    Abwehrmechanismus gegen andere Gefühle zu verstehen, die
    sich bewußt zu machen er noch nicht imstande ist (seine Einsamkeit, das Gefühl des Ungeliebtseins, des Nichtgeachtetwer-dens zum Beispiel), die durch gewisse Umweltreize ausgelöst
    werden. Daher können wir damit rechnen, daß diese Gefühle
    bei einem weiteren Fortschreiten in der gleichen Richtung unter
    die Lupe genommen werden und er dann nicht mehr so irritabel
    auf Hitze, Ameisen, Patienten und Ansprüche seiner Mutter
    reagieren wird. Den psychologischen Ablauf dürfen wir uns so
    vorstellen, daß ein gewisses Maß an Gleichmut nach maximal
    fünf Tagen noch weitergewirkt und dazu ausgereicht hatte, die
    erste geistig-seelische Zwiebelschale zu durchdringen. Ist diese
    Bewußtseinsveränderung von Dauer, wird die gleiche Kraft
    fortan auf die nächste Schale einwirken.
    In der Offenlegung seines Grolls und der Aufdeckung seiner
    Furcht vor möglicher Homosexualität kann man eine

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