Die Reise zum Ich
Kontakt zu treten, und er erkennt, daß er dieses echte Bedürfnis schon immer gespürt, doch nie zum Ausdruck gebracht hatte.
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Aber dann, als er gebeten wird, den Panzer »auszuagieren«,
geht ihm auf, daß dieser ein Teil seiner selbst ist: sein besonderes
Schutzbedürfnis.
Beim
Ausagieren
der
verschiedenen
Traumelemente stellt sich heraus, daß sie alle antagonistisch
sind. Doch nachdem sich die verschiedenen »Stimmen« geäu
ßert haben, entsteht ein Gefühl der Übereinstimmung:
Der Analysand (der Krebs) fühlt sich nicht mehr in seinem
Panzer so eingekapselt; zu seinem Vorteil ist er mit ihm versehen, und dieser beharrt nun nicht mehr darauf, ihn übermäßig abzuschirmen, und will ihm statt dessen als Instrument dienen.
Krebs und Wasser sympathisieren miteinander, und alle drei
fühlen sie sich im Beutel geborgen.
In diesem Stadium fällt dem Analysanden ein weiteres Traumelement ein: Der Plastiksack hängt in der Hand seiner Mutter.
Panzer, Sack und Mutter erscheinen ihm nun als Eigenschaften
seiner selbst, die ihn zugleich schützen und hemmen.
Jetzt bittet ihn der Arzt, einen Dialog zwischen Krebs und
Mutter auszuagieren. Spontan will er sagen »Laß mich heraus,
laß mich frei«, doch draußen kann man seine Worte nicht
hören. Er kann seine Mutter nicht erreichen, ist isoliert wie im
wirklichen Leben. Nun beginnt er zu realisieren, daß er zu
seiner Mutter nicht in intimen Kontakt zu treten vermag.
Der Patient wird aufgefordert, aus dem Traum auszusteigen
und sich vorzustellen, seine Mutter säße vor ihm, und er solle es
aussprechen, daß er sich ihr gegenüber befangen, wie zugeknöpft fühle. Was bei dieser Konfrontation herauskam, ist eine lange Geschichte, die er in folgendem Rückblick zusammenfaßte:
»Ich konnte nicht, ich konnte es nicht. Ich wußte, daß ich eine
Wut kriegen und sie schlagen würde. Ich erinnere mich jetzt,
wie ich sie das erste Mal sah: Ich hatte sie auf den Fußboden
gesetzt, sie war nur zwei Fuß hoch, und ich hätte sie am
liebsten mit einem Knüppel in Stücke geschlagen. Doch ich
konnte es nicht. Schließlich fiel sie sozusagen von allein
auseinander. Auch diesmal hoffte ich, daß sie noch immer bei
mir war. Ich glaube, sie wird nie fortgehen, wenn ich sie nicht
von mir stoße, wirklich wütend werde, schreie, et cetera.
Wenn dieser Tag einmal kommt, werde ich mich, glaube ich,
endgültig von ihr gelöst haben.«
Der Patient war nicht in der Lage, aus dieser Sackgasse auszubrechen, doch er begriff, daß die Nichterfüllung seiner Wünsche nicht bloßem Verharren zuzuschreiben war, sondern dem 128
stummen Kampf zwischen Wut und Schuldgefühlen in seinem
Innern.
Diese Traumszene verarbeitete er weitere vier Stunden lang, in
deren Verlauf er das Bild des Festklammerns zu deuten lernte:
Sein verbissener rachsüchtiger Zorn richtete sich gegen die
eigene Person. Nachdem er jedoch eine Weile sein Verharren
in seiner »Bemuttere-mich«-Attitüde kontempliert hatte, lok-
kerte sich das Abweisende, Verbissene, das Festklammern, - er
wünschte sich nur noch, fest angepackt und in die unterste Ecke
des Sackes gesteckt zu werden. Mit anderen Worten, die feindselige Verkrampfung, die sich zuvor als possessiver, starrköpfiger »Biß« gegen ihn selbst gerichtet hatte, durchschaute er als fehlgesteuertes Verlangen nach Kontakt, als den Willen »nicht
locker zu lassen« und nicht langer allein zu sein. Und ersah ein,
daß das liebebedürftige Kind in ihm nicht aggressiv vorzugehen
brauchte, daß es im Gegenteil weit mehr gewinnen konnte,
wenn es sich schlicht seiner Umwelt erfreute.
Der Sack versinnbildlichte den »Verantwortlichen«, der den
Status quo zu erhalten wünscht. Jedes zeigt andere Tendenzen:
Der Krebs will zurück ins Wasser, um in Freiheit zu leben und
den Kopf wieder hochtragen zu können; das Wasser möchte
verdunsten, und auch das Klammern sucht einen Halt. Nur der
Sack will, daß alles beieinander bleibt, so wie es ist: »Er fühlt
sich innerlich erfüllt von Wasser, Krebs, Panzer und Klammern.« So erhielt der Analysand in dieser Sitzung einen Blick in seine Innenwelt, und das auf eine ihm vollkommen neue und
erstaunliche Weise.
Seine Niederschrift am Tage darauf begann mit dem Bekenntnis: »Ich weiß jetzt wirklich, wie ich mich sehe.« Und acht Monate später ist er noch immer überzeugt, er habe sich verändert: »Ich erkenne mich selbst, ich kann mich verstehen.« Dieses Verständnis bewertet er so
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