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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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bewirken. Indes brachte sie, wie bei jeder erfolgreichen Tiefenanalyse die Patienten dazu, ihre Impulse und Gefühle zu akzeptieren und ihrem wahren Selbst näher zu kommen. Feststellungen dieser Art sind indes nicht sehr ergiebig, und so können nur Fallbeispiele dazu geeignet sein, die Natur
    des Prozesses zu verdeutlichen.
    Einer der ersten, der die Wirkung dieses Alkaloids erfahren
    sollte, war ein junger Mann, der fünf Jahre erfolgloser psychotherapeutischer Behandlung wegen einer Angstneurose hinter sich hatte. Bald nachdem ich ihm die Droge in die Vene injiziert
    hatte (will man eine sofortige, jedoch etwas kürzere Wirkung
    erzielen, empfiehlt sich eine intravenöse Harmalin-Gabe), fünf
    oder zehn Minuten später, rief der Patient verwundert aus:
    »Es ist kaum zu glauben! Alles was ich tue, alles was ich sage
    ist Verstellung! Seit Jahren lebe ich ohne zu ahnen, was ich
    wirklich bin. Ich muß es schon als Kind vergessen haben, und
    erst jetzt kann ich es wieder spüren, mein wahres Selbst!«
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    Diese Erkenntnis war die wichtigste dieses Tages und eine der
    wichtigsten seines Lebens. Nicht durch Vernunftschlüsse, noch
    durch Analyse seiner Situation hatte er sie gewonnen, und auch
    nicht infolge therapeutischer Intervention meinerseits. Im folgenden wird zu schildern versucht, was in diesen Augenblicken in ihm vorging: Als erstes spürte er nach der Injektion
    »ein Brausen in meinem Innern und eine geradezu körperliche Angst, als ob ich zerbersten oder mir das Blut aus Nase und Adern herausplatzen wollte; dennoch war da eine Ruhe,
    ein Frieden, als beschiene mich zum ersten Mal in meinem
    Leben, oder im letzten Moment, ganz intensiv die Sonne,
    etwa als ob ich im Augenblick des Todes den Frieden und das
    Leben sähe. Es war tiefe Verzweiflung, als hätten mich alle
    Kräfte verlassen - mir versagte die Stimme, ich konnte mich
    nicht mehr bewegen, noch vermochte ich einen Gedanken zu
    fassen.«
    Nach diesem ersten Stadium, das nicht mehr als fünf Minuten
    gedauert haben mag, wich seine Furcht und machte einem
    Strom rasch wechselnder Bilder Platz, die er kaum wiedergeben
    konnte. Denn das Sprechen störte ihn beim Schauen (wobei er
    nicht unterbrochen werden wollte). Sehr bald, während Bilder
    aus seiner Kindheit vor seinem inneren Auge vorüberzogen,
    kam er zu der entscheidenden Einsicht, dem Lohn für die
    therapeutische Bemühung des Tages:
    »Ich sehe mich, wie ich bin, und es hat keine Beziehung zu
    meiner Art zu leben. Mein Verhalten steht im Widerspruch
    zu mir selbst, weil ich mich nicht so nehme, wie ich bin.«
    Am folgenden Tag heißt es in seiner Niederschrift:
    »Ich hatte das Gefühl, als sei eine andere Person in mir oder
    als sei ich selbst jemand anders, etwas, was ich noch nie erlebt
    habe. Ich fühlte mich frei von meinem täglichen ›Ich‹. Ich sah
    mich in einer Welt der Gewißheit, verblüfft über die Unkenntnis, in der ich gelebt hatte in bezug auf das, was in der Tiefe meines Wesen ruht - ein Sein, das mit meinem wahren
    Ich verbunden war, als lebte ich in einer anderen Welt, in der
    nichts verborgen blieb, und die ich verklärt durchschritt.«
    Drei Monate später schrieb er:
    »Es ist mir ein Bild meines Selbst geblieben, von dem ich gar
    keine Vorstellung hatte, auch nicht in meinen kühnsten Fantasien, ausgestattet mit vielen Attributen, die ich stets für begehrenswert, für vollkommen hielt, ein befriedetes Selbst,
    das seine Augen auf die Welt richtet ohne die geringste Sorge
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    um das eigene Ich. Und in mir jenes alte, gar nicht neue
    Gespür, das zutiefst mit meiner Vergangenheit und meinem
    wahren Ich verbunden ist.
    Genau in diesem Augenblick, als ich wieder aus mir selbst
    herausgeschlüpft war, sehe ich mich auf der Straße gehen
    oder im Bus fahren, wie von einer Art Muschel umschlossen,
    blind für das Wesentliche, und dennoch kann ich der Wahrnehmung meines wahren Seins in mir nicht entweichen.«
    Diesen Patienten hatte ich erst zwei Wochen zuvor kennengelernt. Sein Therapeut hatte mir geschildert, in welche Sackgasse seine Behandlung vermutlich geraten war und empfahl ihn mir
    als freiwilligen Probanden für unser Forschungsprojekt. Ich
    kannte ihn relativ wenig im Vergleich zu anderen Kandidaten,
    die ich in ihren Sitzungen der vorangegangenen Tage befragt
    und getestet hatte. Mein Kontakt zu ihm war als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. Der Patient war ziemlich in sich gekehrt und schien mehr an den exotischen Erfahrungen

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