Die Reise zum Ich
mich in diesem Kapitel nur vom therapeutischen
Standpunkt aus mit den Wirkungen des Harmalin befassen will,
möchte ich doch nicht unerwähnt lassen, daß dieses Alkaloid
insofern unser besonderes Interesse verdient, als es mit bestimmten, aus der Zirbeldrüse von Säugetieren gewonnenen Substanzen große Ähnlichkeit hat. Vor allem das 10-methoxy-harmalin, das in vitro durch Bebrüten aus dem im Gewebe der
Zirbeldrüse enthaltenen Seratonin isoliert werden kann, ähnelt
dem Harmalin in seiner subjektiven Wirkung und erzeugt noch
stärkere psychoaktive Wirkungen. Dies läßt darauf schließen,
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daß das Harmalin (welches sich von 10-methoxy-harmalin nur
durch
die
Position
seiner
methoxyl-Gruppe
unterscheidet)
seine psychoaktive Wirkung dem Mimikry eines Stoffwechselprodukts verdankt, das normalerweise an der Kontrolle der Bewußtseinszustände beteiligt ist.
Bei einer oralen Dosis Harmalin von 4 bis 5 mg pro Kilogramm
Körpergewicht (oder einer intravenösen Dosis von 70 bis 100
mg) tritt ein Zustand körperlicher Entspannung ein. Der Patient hat das Verlangen, sich von der Umwelt zurückzuziehen, die Augen zu schließen und entwickelt eine besondere Empfindlichkeit gegen laute Geräusche. In den Gliedern macht sich eine gewisse Taubheit bemerkbar und vor allem treten sehr
lebhafte visuelle Wahrnehmungen auf, die in Form bedeutungsschwerer
traumartiger
Sequenzen
verlaufen.
Darüber
hinaus ruft es bei etwa 50 Prozent der Analysanden Übelkeit
oder Erbrechen hervor. Aufgrund all dieser Symptome liegt es
nahe, daß ein stiller, abgedunkelter Raum mit einer Couch die
ideale Umgebung für die Anwendung dieser Droge ist.
Eine im Jahr 1964 durchgeführte Untersuchung der subjektiven Wirkungen von Harmalin an Freiwilligen, die nichts von der Wirkung der Droge wußten, führte zu dem überraschenden
Ergebnis, daß sich der Inhalt ihrer Visionen weitgehend glich,
darüber hinaus aber auch mit denen der Indianer deckte. Am
häufigsten traten in diesen dreißig Sitzungen Tiere in den Träumen auf, Tiger, Vögel oder sogar dunkelhäutige fliegende Menschen oder der Tod, oder die Probanden sahen kreisförmige Muster, die Assoziationen von Zentren, einer Quelle oder einer
Achse wachriefen.
Diese immer wiederkehrende Thematik sowie deren mythischer Charakter lassen kaum daran zweifeln, daß es sich bei den unter Harmalineinwirkung ins Bewußtsein projizierten transpersonalen Erfahrungen (und ihrer Symbolik) um eine Art jungsche Archetypen handelt, und daß solche Reaktionen für
Harmalin kennzeichnend sind. Wer die jungsche Sicht teilt,
wird es natürlich finden, anzunehmen, daß auch die künstliche
Auslösung
archetypischer
Erfahrungen
der
Integration
der
Persönlichkeit und damit der psychischen Heilung förderlich
sein könnten. Doch hatte man mit der Beobachtung der psychotherapeutischen Ergebnisse bei Harmalinanwendung keineswegs vorgehabt, jungs Hypothese zu testen. Diese Ergebnisse traten als dramatische Überraschung bei dieser Untersuchung zutage, und zwar schon ehe man das Auftreten gleicher 132
Bilder feststellte. Aus der Gruppe der dreißig freiwilligen Probanden war für fünfzehn die Erfahrung mit Harmalin von therapeutischem Nutzen, und zehn zeigten sichtliche Besserung oder Veränderung der Symptome, wie sie sonst nur nach intensiver
psychotherapeutischer
Behandlung
zu
erreichen
sind.
Acht dieser zehn waren Psychoneurotiker, und ein weiterer litt
an einer Charakterneurose, der er sich kaum bewußt war. Diese
neun machten 60 Prozent der Probanden mit deutlichen neurotischen Symptomen (N - 15) aus.
Mein Mangel an weiterer Erfahrung mit reinem Harmalin ist
auf den Umstand zurückzuführen, daß ich mich seit jener Untersuchung mit der Erforschung von Harmalinverbindungen wie Harmalin-MDA, Harmalin-TMA (TMA - trimethoxyam-phetamin), Harmalin-Meskalin und anderen befaßte. Da ich
jedoch in diesem Kapitel einen Eindruck von der Wirkung und
Anwendung des reinen Harmalins vermitteln möchte, beschränke ich mich hier auf den Hinweis, daß diese Harmalinverbindungen aus psychologischen oder physiologischen Gründen in Fällen, in denen Patienten auf die reine Droge nicht ansprechen, von Nutzen sein können.
Auf welche Weise die Harmalinerfahrung zur Besserung
führte, läßt sich nur schwer erklären. Gewöhnlich trat in diesen
Fällen die Besserung spontan ein und ohne notwendigerweise
die Einsicht des Patienten in die speziellen Konflikte seines
Lebens zu
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