Die Reise zum Ich
einer
bewußtseinsverändernden Droge interessiert zu sein als an einem therapeutischen Experiment. So war denn das Resultat im Hinblick auf eine greifbare Besserung nur mittelmäßig, denn,
wie seinem Bericht zu entnehmen, das ihm neue Erfühlen seines wahren Selbst konnte die Entfremdung von seinem Ich nicht beheben, sondern lediglich als Vergleichsmaßstab für seinen jetzigen Zustand und seine Möglichkeiten und Ideale dienen. Das wichtigste Ergebnis dieser Erfahrung: Sie führte zur Änderung der psychotherapeutischen Behandlung, die übrigens zu keiner Zeit unterbrochen wurde. Das neue Gespür für Authentizität, sein erweitertes Bewußtsein, was »Verstellung«
oder »Lügen« betraf, oder für seine »Situation« (des Umschlossenseins von der Muschel) hatte eine verbesserte, produktivere Therapeut-Patient-Beziehung zur Folge und gab beiden ein gemeinsames Ziel, bildete eine Herausforderung, die dem analytischen Prozeß seinen Sinn gab. Mit anderen Worten:
Es trat ein Motivationswandel bei ihm ein: aus dem Wunsch,
sich von seinen Mängeln zu befreien, erwuchs der Wunsch nach
Selbstverwirklichung. Wie in der Alchemie, kann man auch in
der Psychotherapie »aus Dreck kein Gold machen«, und in
diesem Fall hatte die Sitzung den Patienten mit dem notwendigen »Startkapital« versehen.
Die auf den vorangegangenen Seiten beschriebene Episode
hatte sich in nicht mehr als dreißig Minuten abgespielt und fand
ihr Ende, als ich Fragen an ihn zu richten begann. Bald nach135
dem er festgestellt hatte, daß alles in seinem Leben Lüge oder
Entstellung war, hielt ich es für zweckmäßig, daß er sich diese
Entstellungen etwas genauer ansah, damit er sich nach der
Sitzung an etwas zu erinnern und sein vages Gefühl für die
eigene Realität daran zu verankern vermochte. Ich fragte ihn,
was in seinem Leben denn Verstellung sei; er antwortete: »Alles und jedes. Alles was ich sage oder tue, jede Geste, meine Art zu sprechen, wie ich in den Bus steige.« Und nun wurde er
plötzlich von Übelkeit befallen. Als ich weiter in ihn drang, die
konkreten Fälle von Lüge und Verstellung, die er gewahr geworden war, unter die Lupe zu nehmen, wurde ihm immer übler. Er grollte mir, daß ich ihn angesprochen hatte. Meine
Fragen verursachten ihm Brechreiz. Alsbald mußte er sich
übergeben, und er verbrachte die nächsten vier bis fünf Stunden
im Wechsel zwischen Erbrechen und Schlaf. Währenddessen,
sagte er, betrachte er die Bilder, sinne über sie nach, doch
könne er nichts Rechtes berichten, teils weil er so matt sei, teils
aus Kontaktunlust, teils weil er sich an nichts mehr erinnern
könne, wenn er es nicht sogleich in Worte fasse.
Als er sich schließlich herbeiließ, auf meine Fragen zu antworten, oder er selbst die Initiative zum Sprechen ergriff, verschlimmerte sich sein Unwohlsein noch. Am klarsten blieb ein Bild bei ihm haften, wie es der »höllischen« Seite der Harmalinwelt entspricht: Er sah sich im Kreis seiner Familie beim Picknick um ein Feuer sitzen, über dem sein Vater geröstet
wurde (!).
Dieser Bericht soll als ein nur fragmentarisches Beispiel für die
Harmalin-typische visionäre Erfahrung im Blick auf ihre unangenehmen Wirkungen dienen. Sie war für diese Droge insofern charakteristisch, als die Ängste und destruktiven Kräfte assimiliert wurden, um in einer speziellen Art von Außersichsein zu münden, die sich in einem starken Gefühl von Energie, ja von
Macht und Freiheit äußerte (»Als ob ich zerberste, mir das Blut
aus Nase und Adern herausplatzen wollte«), daneben indes
durch eine tiefe Ruhe (»Als beschiene mich ganz intensiv die
Sonne ... als ob ich im Augenblick des Todes den Frieden und
das Leben erblicke«), Machtgefühl dieser Art wird oft durch
Tiger, Löwe oder Drache symbolisiert - Symbole, die typisch
sind für den mit Harmalin angezapften inneren Bereich. Jedoch
tatsächlich ein Löwe oder ein Feuer zu sein, das können sich
viele nicht einmal vorstellen; und hierin mag der Grund dafür
liegen, daß entweder die symbolische Visualisierung oder die
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reine Gefühlserfahrung (wie oben zitiert) für den Durchschnittsmenschen das Äußerste ist, was er zu akzeptieren vermag, ohne psychologische Barrieren einrennen zu müssen. Meiner Meinung nach ist die Tatsache, daß der Patient zur Wahrnehmung seines Selbst und der auch seinem alltäglichen Ich gewährten Freiheit gelangte, als ein Schritt zur Verwirklichung in der Praxis zu bewerten, zugleich
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