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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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existiert. Dies war die einzige Möglichkeit, alle Stücke
    von mir wieder zusammenzufügen. Dies ist der einzige Weg,
    wenn auch nur für einen Augenblick zur Harmonie zu finden.
    Der Moment, da man weder lebendig ist noch tot, in diesem
    Moment erkennt man. Worin diese Erkenntnis besteht, weiß
    ich nicht. Einfach aus Wissen und Verstehen zu gleicher Zeit
    ... Es ist die Essenz des Lebens, auf die es ankommt, und der
    einzige Weg, sie zu erfassen, ist der Augenblick des Sterbens.
    165

    Hier lösen sich die Gegensätze auf: Gott und das Geschlechtliche werden eins, sie vermischen sich. Alle Dinge sind eins, gut und böse, schön und häßlich.
    Die Sache ist die, daß ich sterben mußte. Unbewußt hatte ich
    den Tod gesucht. Aber freudlos, und ohne es zu wissen. Doch
    irgend etwas in mir hielt mich zurück. Straßen sind Tod. Es ist
    so leicht zu sterben. Nicht daß ich mich absichtlich vor die
    Räder eines Wagens geworfen hätte oder vom Bordstein
    herabgetreten wäre. Es war, als funktioniere plötzlich der
    Abwehrmechanismus nicht mehr. Ich wollte einfach nichts
    realisieren. Dies war mir mehrmals vor Beginn meiner Phobie passiert. Ich ging die Straße entlang und merkte plötzlich, daß ich mehrere Blocks zu weit gegangen war, ohne zu wissen
    warum. Und ebenso »wachte ich auf«, mitten auf der Fahrbahn, mitten im dicksten Verkehr. Mehr als einmal schreckte ich erst beim Fluchen eines Taxifahrers auf, der hart auf die
    Bremse treten mußte, um mich nicht zu überfahren.
    Doch in mir war ein Teil, der nicht sterben wollte. Er wußte,
    was los war. Dieser Teil meiner selbst rang mit dem Skelett,
    wollte nicht auf die Fahrbahn gehen, wollte sich nicht in
    Gefahr begeben. Das aber war das Schlechte in mir. Das
    Geschlechtliche
    am
    Ende?
    Und
    war es wirklich
    das
    Schlechte? Denn mir scheint, einer meiner Gründe zu sterben war, das Schlechte in mir umzubringen. Dieses Schlechte ist das Geschlechtliche, aber es ist die einzige Kraft, die
    meine Teile wieder vereinen, mir Einheit verleihen, das

Fleisch am Skelett festhalten kann. Tanzen ist auch Sex. Es
    scheint gar nicht übel zu sein; es ist das, was mich mit Leben
    erfüllt. Doch cs mangelt an einem essentiellen Faktor, einem
    unentbehrlichen Katalysator: Gott. Wie kann Gott etwas mit
    diesem Durcheinander zu tun haben? Wo war Gott all diese
    Zeit?
    Mit Gott passierte das Gleiche wie mit dem Skelett. Ursprünglich war er in mir, wuchs mit mir, ging mit mir. Dann verschwand das Skelett. Statt dessen hatte ich ein äußeres,
    metallisches Skelett mit juwelenbesetzten Schmetterlingsflü-
    geln. Ich suchte nach einem Halt, innerlich wurde ich ganz
    trocken. Ich war in einem Schmetterling eingekapselt. Seine
    Flügel hatten die Form von Fledermausflügeln, deren Gelenke
    metallisch,
    unangenehm,
    disharmonisch
    knackten.
    Ebenso war es mit Gott. Er wich aus mir, wurde zu einem
    fernen Gott, umgebracht durch den Sadismus eines Dienst166

    mädchens, das mir in allen Einzelheiten schilderte, wie er
    gekreuzigt und mit Dornen gekrönt wurde. Ich mußte weinen, und durch meine Tränen noch beflügelt, begann sie mir noch viel detaillierter zu beschreiben, wie man Jesus mit dem
    Speer in die Seite stach und wie man dem Christkind die Haut
    aus dem Munde riß. Ich weiß nicht, ob ich es nicht besser
    wußte oder ob es dem Durcheinander der Erzählung zu
    verdanken war, daß ich annahm, Jesus sei als Kind gekreuzigt
    worden. Vielleicht erregte die Vorstellung, er sei ein kleiner
    Junge, mein Mitleid um so mehr. Dann kam die Schule. Und
    nun thronte Gott in einer Wolke, in einem fernen Himmel
    und trug einen Bart. Und sein Auge saß in einem Dreieck.
    Das Auge, das Kain verfolgte. Man sagte uns von diesem
    bärtigen Gott auf der Wolke, das sei nicht Gottes wahre
    Gestalt, weiter erzählte man uns nichts. Viel aber war von
    dem Auge in dem Dreieck die Rede. Es war das Auge Gottes, sein wichtigster und aktivster Teil und allgegenwärtig, blickte stets auf uns nieder, der Teil Gottes, der jedem von
    uns sagte, wie böse wir wären, und es jede Sekunde wiederholte. Gott mit seinem Auge war eine Drohung.
    Dann der Gott meiner Mutter. Er hatte viel von Allah und
    eine Menge Klassenbewußtsein. Alles was geschah, war Gottes Wille. Was man auch tat, würde nichts daran ändern, wie Gott die Dinge arrangiert hatte. Daher gab es keinen Grund
    sich aufzuregen oder zu ärgern, und keinen Grund, nach
    einem Grund zu suchen. Es gab keine Möglichkeit, etwas zu
    ändern oder etwas zu

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