Die Reise Zur Stadt Der Toten
gut bewaffneter, aber sichtlich nervöser Krieger bewacht. Der Oyt, so erklärte einer von ihnen, sei nicht zu Hause.
»Dann habt ihr doch keine Einwände, wenn wir eintreten, um ihm an seinem Tisch Tribut zu zollen?« erwiderte Lyra.
»Man hat mir gesagt, ich solle keine Besucher einlassen.« Der Soldat schien sehr unglücklich.
Tyl schaltete sich ein. »Diese Ablehnung gereicht deinem Herrn nicht zur Ehre. Es beleidigt die Gesetze der Gastfreundschaft.«
»Außerdem werden wir unsere außerweltlichen Geister rufen, wenn du uns nicht einläßt; dann werden sie dieses Haus wegblasen.« Das war zwar mehr ein Bluff als ein Versprechen, da ein Asynapt höchstens dazu geeignet war, die Steinmauer vor ihnen etwas zu schwärzen; aber das wußte der Posten nicht.
Der Wächter blickte schief auf die Pistole an Etiennes Hüfte und schien bereits zu ahnen, daß es sich um eine Art Waffe handeln mußte; aber persönlich in Erfahrung zu bringen, wozu diese Waffe imstande war, reizte ihn offenbar nicht. »Ich werde herausfinden, was geschehen soll.« Er wandte sich ab und verschwand im Innern der Behausung, um nach wenigen Minuten wieder zurückzukehren. Es hatte sich inzwischen eine neugierige, unsichere Menge von den umliegenden Häusern versammelt. Sie drängten sich in respektvollem Abstand um die beiden Fremden und die fünf Tsla.
»Ihr sollt eingelassen werden«, teilte der Wächter ihnen mit, »aber nur, wenn ihr eure Geisterrufer draußen laßt.«
»Unsere Geister kommen mit uns«, erklärte Lyra ihm mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Der Posten seufzte. »Man hat mich nur aufgefordert, das zu verlangen. Tretet ein!«
Das Gebäude aus Holz und Stein war etwas mehr als ein Haus und ein gutes Stück weniger als ein Palast, aber ohne Zweifel das beste, was sich eine Kleinstadt wie Aib leisten konnte. Obwohl Etiennes Gedanken hauptsächlich ihrem Boot galten, konnte er doch die Mischung aus Neid und Abscheu registrieren, mit denen die hiesigen Mai die Tsla ansahen.
Wie Etienne schon erwartet hatte, war Gwattwe die ganze Zeit da gewesen. Auf Etienne wirkte er irgendwie bedrückt, so als hätte etwas ihm seine sonstige Überheblichkeit genommen. Eigenartig! Falls es seine Absicht war, über das verschwundene Boot mit ihm zu feilschen, so fing er das schlecht an.
»Wo ist es?« herrschte Etienne den Oyt an. Für irgendwelche protokollarischen Feinheiten war er jetzt nicht in der Stimmung.
»Ich brauche nicht zu raten, was du meinst«, sagte der Oyt müde. »Euer Geisterboot ist nicht hier.«
»Du hast es gestohlen«, knurrte Etienne. »Wir haben dir vertraut. Wir haben dir als Sicherheit für dieses Vertrauen, das du enttäuscht hast, Geld dagelassen. Du hast versprochen, daß unserem Besitz kein Schaden zugefügt würde.«
»Ich habe gelogen«, sagte Gwattwe.
Ein Meister der Diplomatie, dachte Etienne. Aber das war nicht, was er erwartet hatte, als sie die Stadt betreten hatten. Irgend etwas stimmte hier nicht.
»Wo habt ihr es versteckt?«
»Wir haben euer Geisterboot nicht.« Gwattwe vollführte eine Geste tiefempfundenen Bedauerns, in die sich Hilflosigkeit mischte. Tyl beobachtete ihn scharf.
»Ich habe dir geglaubt, als du uns Versprechungen machtest. Warum sollte ich dir jetzt glauben?«
»Ob du mir glaubst oder nicht, ist nicht wichtig. Wir haben euer Boot nicht. Wir haben es nicht gestohlen. Oh, versucht haben wir es.« Sein Gesichtsausdruck wurde säuerlich. »Ganz sicher haben wir es versucht. Eure Geister haben meinen Berater und einige seiner Schüler verbrannt - einen nach dem anderen.« Er hielt inne; aber falls er von Etienne Mitleid erwartet hatte, so würde er darauf lange warten müssen. Also fuhr er fort: »Wir haben alles versucht, was uns einfiel, konnten aber die Geister, die euer Schiff bewachten, nie zu Gesicht bekommen und auch nicht sehen, wie sie zuschlugen.« Er erhob sich von seiner Couch.
»Wo ist dann unser Boot?«
»Es schmerzt mich, dir sagen zu müssen, daß es gestohlen wurde.«
»Aber nicht von dir?«
»Nein, nicht von uns. Warum glaubst du wohl, daß mich das schmerzt?« Es bereitete Gwattwe von Aib sicherlich Unbehagen, weil ein anderer das geschafft hatte, was ihm mißlungen war.
»Als ich meine besten Berater in Geisterdingen verlor, beschloß ich schließlich, mit dem berühmten Davahassi Verbindung aufzunehmen, der Chefberater von Langai von Hochac ist.«
Tyl beugte sich zu Etienne hinunter und sagte auf Mai: »Hochac ist ein übler Ort. Es liegt
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