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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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überhaupt ins Auge zu fassen. Aber selbst wenn Jesus und Paulus sich einmal essenischem Gedankengut verbunden fühlten, liegt es auf der Hand, warum sie dann beide das essenische Grundprinzip, das Sich-Ab-schließen vor der Welt, verwarfen. Jesus wußte, daß er seine Sendung »unter Zöllnern und Sündern« erfüllen müsse, und das unterschied ihn völlig von der Selbstgerechtigkeit der engstirnigen und letzten Endes unergiebigen Lehrsätze der Essener. Der Meister und Paulus wiesen diese starre Ex-64
    klusivität zurück. Jesus verstieß recht oft und bewußt gegen die Dogmen des jüdischen Gesetzes. Paulus ging noch weiter. Er sagte später, die Beschneidung (jener Ritus, der den Juden so unermeßlich wichtig war) sei für bekehrte Heiden nicht unerläßlich. Er lebte unter Heiden und behauptete immer wieder, daß nicht nur die Juden Gottes auserwähltes Volk seien, sondern daß alle durch den Glauben und durch Gottes Gnade zu den Auserwählten zählen könnten. Möglicherweise wurde der Keim zu dieser Auflehnung durch die intellektuelle und haarspalterische Sophisterei, mit der er sich tagtäglich im Haus der Auslegung auseinandersetzen mußte, in sein Herz gesenkt.
    Man darf aber auch einen weiteren Einfluß, dem dieser eifrige junge Student ausgesetzt war, nicht unberücksichtigt lassen: den Glauben an das Kommen des Messias. Er wür-de das auserwählte Volk vom römischen Joch befreien, er würde das Unrecht wiedergutmachen, unter dem sie litten, das zu bekämpfen sie jedoch nicht die physische Stärke hatten. Die geistige Lage der damaligen Zeit mit ihrer unablässigen Hoffnung, der Herr werde das Gleichgewicht wiederherstellen, hat Dr. Parkes so zusammengefaßt: »Seit vielen Jahrhunderten gab es den jüdischen Glauben an einen letzten Tag, den ›Tag des Herrn‹, an dem menschliche Unge-rechtigkeiten ausgeglichen würden und Gott selbst sein Volk regieren und erlösen würde; zahlreiche Erwartungen dieser Art schlossen die Gewißheit mit ein, daß ihm dann alle Völker Untertan seien … die Machtlosigkeit des winzi-gen Judäa, das sich von riesigen Weltreichen feindlich umgeben sah, führte so manchen dahin, eher einen Tag des göttlichen Strafgerichts als einen Tag der göttlichen Verheißung 65
    zu erwarten. Aus dem Messias, der die Welt ursprünglich in Frieden und Gerechtigkeit lenken sollte, wurde eine himm-lische Gestalt, die mit Jupiters Donnerkeilen bewehrt war.
    Das Schrifttum, das diesen Vorstellungen Ausdruck verlieh, war ohne Ausnahme pseudonymisch. Die Ideen selbst
    ›offenbarten‹ sich in ›Visionen‹, und so wurde diese Literatur als pseudepigraphische oder apokalyptische bekannt. Da all dies um das Thema des Weltendes kreiste, nannte man die Richtung Eschatologie. Gefährlich war sie insofern, als sie sich ohne weiteres als Inspiration für den politischen Extremismus und Terrorismus verwenden ließ. Man erwartete, Gott werde die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Juden und Römern aufheben. Und so schien auch der bewaffnete Kampf gegen die Römer möglich und wünschenswert.
    In dem Halbjahrhundert, das dem offenen Krieg vorausging, schuf die apokalyptische Messiaserwartung eine ständige innere Unruhe, die durch Terrorismus, Krawall und Meuchelmord gekennzeichnet war.«
    Judäa wies Züge auf, die uns heute sehr vertraut sind: die Züge eines von fremden Eindringlingen besetzten Landes, das fest entschlossen ist, seine Freiheit wiederzuerlan-gen. Die Lage wurde noch komplizierter durch die Tatsache, daß die Juden sich für das auserwählte Volk des Schöpfers aller Dinge hielten. Ihr Begehren war nicht nur die gewöhnliche Sehnsucht des Menschen nach Freiheit und Ende der Unterdrückung. Dazu kam die Überzeugung, daß der Jude in seiner Art (wenn auch nicht in seiner Qualität) von den Mitmenschen verschieden sei – wie das Wirbeltier Mensch sich von allen anderen Tieren unterscheidet. Und solche Gedankengänge können nur zu Tragödien führen.
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    Es gab noch eine andere Welt. Die kleine und vergleichsweise unbedeutende Enklave von Juden, die in der winzigen Provinz Judäa lebte und so oft und so sehr die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zog, war nur ein Teilchen aus einem riesigen Puzzlespiel. Judäa gehörte zu den Problemgebieten. Und Unruhe stiftete nur ein nicht allzu großer Bevölkerungsteil in einer Stadt, die lediglich eine von vielen Städten des römischen Weltreichs war. Als die Römer schließlich genug gereizt waren,

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