Die Reisen Des Paulus
dann an die Bevölkerung von Jerusalem verteilt wurden. Die Nachricht wurde in Antiochien mit Furcht und Schrecken aufgenommen, aber die Urkirche trat sofort in Aktion. Obwohl viele Christen – übrigens wurden sie zum ersten Mal in Antiochien mit diesem griechisch-lateinischen Mischwort bezeichnet
– arm waren, muß es unter ihnen wohl auch eine stattliche Anzahl von wohlhabenden Kaufleuten, Händlern und Pro-166
duzenten gegeben haben. »Aber unter den Jüngern beschloß ein jeglicher, nach seinem Vermögen den Brüdern, die in Ju-däa wohnten, eine Gabe zu senden …« Zweifellos zahlten sie außerplanmäßige Beiträge in die Armenkasse ein, für die sie, wie es bei den Juden üblich war, ohnehin jeden Freitag ihr Scherflein gaben. Barnabas und Paulus wurden dazu bestimmt, die Spende nach Jerusalem zu bringen.
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D I A
Paulus und Barnabas reisten nicht allein. Sie nahmen Titus mit, jenen Griechen, den Paulus bekehrt hatte.
Er war der lebende Beweis für seine vom Erfolg gekrönten Bemühungen, in Antiochien Nichtjuden in die neue Kirche einzugliedern – aber nicht nur das. Einige Autoren haben Sätze gebraucht wie: »Sie waren übel beraten, daß sie sich von einem Heidenchristen begleiten ließen.« Doch man kann dies nur als völlig bewußte Maßnahme werten –
die Auseinandersetzung darüber, ob nur Juden in diese ursprünglich jüdische Sekte aufgenommen oder ob auch »die Anderen« zugelassen werden durften, sollte jetzt endlich entschieden werden. Paulus war weder ein Wirrkopf, noch ließ er sich für fremde Zwecke einspannen, und wenn man annimmt, er habe Titus einfach gedankenlos mitreisen lassen, unterschätzt man seine Intelligenz. Titus stellte sozusagen einen Testfall dar. Er war Grieche, als Heide geboren und nicht beschnitten. All das rückte ihn völlig vom Gesetz ab. Wenn Paulus erreichen konnte, daß Titus gebilligt und anerkannt wurde, hatte er gewonnen. Dann durften die Lehren des Christentums im ganzen Reich und allen verkündigt werden. Vor allem wollte Paulus eines festhalten, was man bislang noch nicht akzeptiert hatte: daß nämlich der Messias der Juden auch der Messias der ganzen Welt sei.
Titus’ Erscheinen mußte einen Streit mit der pharisä-
ischen Gruppe heraufbeschwören, was Paulus auch ein-
deutig beabsichtigte. Die Sache sollte ja öffentlich durchge-sprochen und auf irgendeine Weise geregelt werden. Paulus’
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Zuversicht, daß er zu einer Übereinkunft mit den anderen Juden kommen werde, wenn er es vermocht hatte und weiterhin vermochte, Proselyten und Heiden zu bekehren, war durchaus berechtigt. Schließlich einigte man sich und ließ Paulus ebenso als Apostel gelten wie diejenigen, die Christus zu Aposteln bestimmt hatte. Petrus sollte der Apostel der Juden, Paulus der Apostel der Heiden sein. »Und da …
gaben sie mir und Barnabas die rechte Hand und wurden mit uns eins, daß wir unter den Heiden, sie aber unter den Juden predigten, nur daß wir der Armen gedächten, welches ich auch fleißig gewesen bin zu tun.«
Es ist kaum anzunehmen, daß Paulus und Petrus sich
bei dieser Gelegenheit trafen. Petrus hielt sich höchstwahrscheinlich – nach seiner Flucht aus dem Gefängnis – noch versteckt. Doch gewiß ist Paulus dem Bruder Jesu, Jakobus, begegnet. Er war das Oberhaupt der Kirche, an ihn muß-
te sich Paulus vor allem wenden, wenn er wollte, daß sein weiteres Vorgehen offiziell gebilligt wurde. Jakobus schickte einen jungen Mann nach Antiochien mit, der sozusagen als Sekretär fungieren sollte. Er wird wohl Dokumente bei sich gehabt haben, die authentische Berichte über Leben und Lehre Jesu enthielten. Bei diesem jungen Mann handelte es sich um Johannes, mit dem Zunamen Markus, einen Vetter des Barnabas. Er war der Sohn einer Witwe, die in der Jerusalemer Kirche eine bedeutende Stellung einnahm.
Vielleicht war Johannes Markus der Jüngling, der Jesus »mit einer Leinwand bekleidet auf der bloßen Haut« in den Gar-ten Gethsemane folgte. Dann flohen die Jünger, die Soldaten versuchten ihn zu verhaften und »er … ließ die Leinwand fahren und floh nackt davon«. Wenn diese Vermutung 169
stimmt, kann man leicht verstehen, warum Jakobus gerade ihn dazu erwählte, mit Barnabas und Paulus nach Antiochien zu reisen. Die mündliche Überlieferung war damals ja noch sehr lebendig. Also konnte er den Mitgliedern der Gemeinde berichten, was er persönlich von Leben und Lehre Jesu wußte. Auf
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