Die Reiter der Sarmaten
Blick an. »Du wirst es mir genau erzählen müssen. Ich will alles darüber wissen. Das Jadetor des Seidenlandes! Das klingt wie ein Märchen.«
»Ich habe es nie erreicht«, sagte ich – und ich dachte daran, wie ich an jenem Morgen, als wir den Heimweg antraten, in der trockenen Buschsteppe jenseits des Kaspischen Meers stand und meine Augen anstrengte, um den Schatten der fernen Gebirge des Ostens zu erspähen, und die Sonne blutrot nur über einer endlosen Ebene aufgehen sah. Ich hatte von den Bergen geträumt, die bis in den Himmel ragen sollen, und jetzt wußte ich, daß ich sie niemals sehen würde. Ich weinte ebensosehr darüber wie über meines Vaters Tod – obwohl ich ihn geliebt hatte.
Ich senkte den Kopf und fuhr fort: »Als ich nach Hause zurückkam und das Zepter empfing, stellte ich fest, daß Macht und Reichtum meiner Familie stark erschüttert waren. Mit den Weiderechten hatten wir Pächter und Gefolgsleute verloren, und auch von den übrigen verließen uns viele und nahmen Dienst bei anderen Herren, da sie kein Vertrauen mehr in die Zukunft unseres Hauses hatten. Es war mir klar, daß ich Ehre und Ansehen als ein Führer im Krieg gewinnen und Reichtümer und Herden erwerben mußte, um die Schwankenden zu ermutigen, zu uns zurückzukehren, und die Treugebliebenen zu belohnen. Ich konnte mir all das verschaffen, wenn ich den Danuvius überschritt. Also tat ich es. Was war schließlich erstrebenswerter als Ruhm?«
Ich schwieg und dachte daran, wohin ich und andere verwegene Stoßtruppführer uns alle schließlich gebracht hatten.
»Was geschah mit Rhusciporis?« fragte Flavina nach einer Weile.
»Da ich erfolgreich war, erhielt ich die Weiderechte zurück, oder doch den größten Teil von ihnen. Von der Beute aus meinen Überfällen machte ich dem König Geschenke, und ich bat ihn, über den in meiner Abwesenheit gefällten Schiedsspruch erneut zu verhandeln; diesmal entschied er zugunsten unserer Familie. Rhusciporis wurde auch auferlegt, den Schädel meines Vaters zurückzugeben. Ich verspottete Rhusciporis und ließ ihn meine Überlegenheit spüren, und meine Gefolgsleute brüsteten sich vor den seinen, so wie sie sich jetzt vor den Asturiern brüsten. Aber wir haben nie miteinander gekämpft. Wir hatten Frieden geschworen. Er ist im Krieg gegen die Römer gefallen.«
Ich zögerte. Ich wußte, daß Pervica tief unglücklich über das geplante Duell mit Arshak war, und ich wünschte, daß sie verstand, warum es notwendig war. Eine sarmatische Frau hätte mich vielleicht ungeduldig gedrängt, die Beleidigung ihrer Würde zu rächen, zumindest aber würde sie die Notwendigkeit des Zweikampfs nicht in Frage gestellt haben. Aber für Pervica war das Ganze unnötig und sinnlos.
»Du kannst diese Zusammenhänge nur verstehen«, fuhr ich fort, »wenn du dir klarmachst, daß Ehre uns über alles geht. Die Tatsache, daß wir Ruhm gewonnen hatten, gab den Ausschlag dafür, daß der König zu unseren Gunsten entschied, nicht die Geschenke. Wenn bei den Römern ein Mann zum Kommandeur einer Kavallerieala ernannt wird, weil er den Legaten bestochen hat, so mag dieser Mann noch so unfähig, korrupt und feige sein, die Soldaten werden ihm dennoch gehorchen, denn sie respektieren die Disziplin. In der Halle des Stabsgebäudes im Fort von Cilurnum steht in einer Nische inmitten der Standarten ein der disciplina militaris geweihter Altar, und die Römer verehren sie wie einen Gott. Die Männer unseres Volkes kennen nichts dergleichen. Sie erwarten von ihrem Kommandeur, daß er ihnen Ruhm und Ehre bringt. Wenn er schwach ist, halten sie trotzdem treu zu ihm, weil ihre Ehre an seine Ehre gebunden ist – wenn er aber Schande über sie bringt, werden sie ihn unweigerlich verlassen. Sie werden schwer darunter leiden, untreu geworden zu sein, und sie werden ihm bittere Vorwürfe machen, daß er sie dazu gebracht hat. Unsere Ehre ist uns teurer als unser Blut, und sie zu verlieren, tötet uns.«
Pervica sah mich an und lächelte traurig. »Ich verstehe«, sagte sie.
Von einer Frau, die mich liebte, Verständnis dafür zu verlangen, daß ich mein Leben für eine Sache aufs Spiel setzte, die sie für unsinnig hielt, war eine harte Zumutung – aber sie verstand, daß ich meine Ehre verteidigen mußte, weil mein Leben andernfalls zerstört wäre. Sie würde sich mir nicht entgegenstellen.
Ich lächelte ihr zu und küßte ihre Hand. Ich war froh, daß sie meine Motive verstand.
16
Am folgenden Tag
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