Die Rekonstruktion des Menschen
Gesicht an seine Brust, während er, die Augen halb geschlossen, ihre bebenden Schultern umfaßte.
»Wie kommst du hierher?« fragte er. »Wie hast du mich gefunden?«
Die Frau hob ihr tränennasses Gesicht. »Ich habe dich gefunden, und fertig.«
»Gehen wir zu mir, dort können wir uns unterhalten.«
Er faßte sie unter und führte sie, im Vorbeigehen eine Entschuldigung murmelnd, in sein Zimmer.
»Bitte«, brummte Assja. Sie schaute ihren Mann mit zusammengekniffenen Lippen an. »Na, was sagst du dazu?«
»Was für ein Gesicht diese Frau hat!« meinte Michail leise.
»Sie hätte uns wenigstens grüßen können… Dein alter Onkel hat aber eine ziemlich junge Bekannte, findest du nicht auch?«
»Vielleicht ist es seine Frau…«
»Seine Frau? Dann ist er deiner Meinung nach also vor seiner Frau ausgerissen? Was für ein reizendes, übermütiges Onkelchen!«
»Hör auf, Assja! Siehst du nicht, daß die beiden Probleme haben?«
»Ich sehe es, ich sehe es. Ich bin ja nicht blind.« Assja begann die Gläser zu spülen.
Michail ging in den Garten hinunter, holte den Schlauch aus dem Schuppen und schloß ihn an die Wasserleitung an. Er bemühte sich, nicht zu Platonows Fenster hinüberzuschauen, sah aber mit einem Seitenblick, daß dort kein Licht brannte.
Aus dem Schlauch schoß ein starker Strahl. Erde, Gras und Bäume sogen begierig die Feuchtigkeit ein, und Michail sparte nicht mit Wasser, damit sie sich ordentlich satt trinken konnten.
Anschließend kehrte er auf die Veranda zurück und setzte sich wieder an den abgeräumten Tisch, bis Assja meinte: »Es wird Zeit, schlafen zu gehen.«
Er antwortete nicht.
»Was hast du, Mischa? Hörst du mich?«
»Ja. Aber ich habe keine Lust, schlafen zu gehen.«
Sie trat hinter ihn und legte ihre fülligen Arme um seinen Hals.
»Ich wünschte, er reiste bald wieder ab, Mischa. Sei mir nicht böse, aber mir kommt es so vor… als ob er Unruhe in unser Leben bringt… Wie friedlich war alles bisher, als wir ihn noch nicht kannten…«
Er streichelte ihren Arm.
In diesem Augenblick ertönten Schritte. Assja trat ans Geländer der Veranda und kreuzte die Arme über der Brust. Was würden diese beiden noch alles anstellen?
Die Glastür ging leise auf. Platonow und jene Frau im grauen Kostüm traten auf die Veranda heraus.
»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte die Frau, und auf ihrem hübschen Gesicht malte sich das verlegene Lächeln eines Kindes, das weiß, daß man ihm verzeihen wird. »Ich heiße Galina Kulomsina und war eine Zeitlang Georgi Iljitschs Assistentin in Borki.«
Michail rückte ihr zuvorkommend einen Korbstuhl zurecht.
»Nehmen Sie bitte Platz.«
»Danke. Es ist mir zur Gewohnheit geworden, für Georgi zu sorgen, und… Mit einem Wort, ich bin auf der ›Balaklawa‹ herübergekommen und durch die ganze Stadt gelaufen. Eine wunderschöne Stadt ist das, aber die vielen Stufen sind ermüdend…«
»Da haben Sie recht.« Michail lächelte. »An Kara-Burun muß man sich erst gewöhnen.«
»Da ich nicht wußte, wo Georgi sich einquartiert hat, habe ich buchstäblich jeden Passanten gefragt und ihm sein Äußeres beschrieben. Ein lächerliches und hoffnungsloses Unterfangen, nicht wahr? – Sogar in der Chalzedonowaja-Bucht war ich und habe alle Ferienheime abgeklappert. Endlich gab mir jemand den Rat, zur Kurverwaltung zu gehen. Zum Glück sagte mir dort eine Frau, die zufällig etwas länger arbeitete, daß eine ihrer Kolleginnen… nämlich Sie« – sie lächelte Assja zu –, »Besuch von einem Verwandten bekommen hat…«
Das war Schurotschka, dachte Assja, laut aber sagte sie: »Ende gut, alles gut.«
»Ja… Die Suche war schrecklich ermüdend, aber Gott sei Dank habe ich ihn doch noch gefunden.« Galina schaute Platonow, der reglos am Geländer stand, mit einem langen Blick an.
»Möchten Sie ein Glas Tee?« fragte Assja.
»Einen Moment, Assja«, schaltete Platonow sich ein. »Vor allem müßten wir versuchen, irgendwo in der Nachbarschaft ein Zimmer für Galina aufzutreiben.«
Assja sah ihn erstaunt an.
»Dafür ist es jetzt schon ein wenig spät«, meinte sie zögernd. »Aber… warum soll Ihre… Assistentin nicht bei uns bleiben? Igor schläft sowieso im Garten, und sein Zimmer steht leer.«
»Natürlich«, sagte Michail. »Sie können Igors Zimmer haben.«
»Ich danke Ihnen.« Galina seufzte. »Ich bin so müde…«
»Übrigens, wo steckt Igor eigentlich?« Assja schaute in den Garten hinaus. »Igor!«
Als jene unbekannte Frau auf Onkel Georgi
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