Die Reliquie von Buchhorn
den Stall.
Eckhard beugte sich zu Rodericus hinunter, der reglos im Stroh lag.
»Was ist mit ihm?«, fragte Gerald besorgt.
»Ohnmächtig.« Eckhard versetzte dem Jungen ein paar kurze, harte Ohrfeigen, bis ein Stöhnen verriet, dass er zu sich kam. »Aufwachen«, sagte er barsch. »Die Gefahr ist vorbei.«
Rodericus stöhnte. »Was ist passiert?« Sein Blick klärte sich langsam. Mit einem Mal begann er unkontrolliert zu zittern. »Dieser Mann … Er wollte mich umbringen … Was … ist er das? Ist er tot?«
»Ja, und du kannst dankbar sein, dass es so ist.« Eckhard zog den jungen Benediktiner grob auf die Füße. »Außerdem glaube ich nicht, dass die dich töten wollten.«
»Nicht? Was dann?«, erkundigte sich Gerald. Er war zu den Pferden gegangen und versuchte, die zitternden Tiere zu beruhigen.
»Ich glaube, sie wollten ihn verschleppen. Ich bin sicher, wir wissen jetzt auch, was mit Bruder Warmund geschehen ist.«
»Und waren das Welfen?«
»Wie gesagt, es ist die einzige Spur, die wir haben.« Eckhard begann, die Kleider der Toten zu untersuchen. Als Rodericus einen entsetzten Laut ausstieß, brachte er ihn mit einem kalten Blick zum Schweigen. »Hier sind Münzen. Reichlicher Lohn für eine einfache Tat. Irgendjemand legt großen Wert darauf, dich in die Finger zu bekommen, Bruder Rodericus. Gerald, nimm die Schwerter mit. Die taugen mehr als dein Dolch, und ich glaube, wir werden Waffen brauchen.«
»Aber Eckhard«, wandte Rodericus schüchtern ein. »Waffen? Wir sind Mönche!«
»Willst du leben?«
»Ja, aber …«
»Dann gibt es kein Aber. Hilf Gerald mit den Pferden.«
Eckhard wartete, bis seine Gefährten die Gäule ins Freie geführt hatten. Die Tiere schienen froh, den Stall gegen die warme Frühlingssonne tauschen zu dürfen, und folgten gehorsam.
Rodericus zögerte. »Ich weiß, dass ihr mir das Leben gerettet habt, und ich danke euch dafür, aber …«
Eckhards Augenbrauen schossen in die Höhe.
»Ich möchte für die Toten beten. Für alle Toten.« Rodericus sah auf seine Hände. »Es erscheint mir richtig.« Als Eckhard nicht antwortete, riskierte er einen Blick auf das gezeichnete Gesicht des anderen.
Eckhard biss sich auf die Lippen. »Du hast recht«, sagte er, und zum ersten Mal klang seine Stimme beinahe freundlich. »Beten wir. Und dann nach Altdorf.«
V
Sonnenschein drang durch die kleinen Fenster der Buche und fiel auf erhitzte Gesichter. Obwohl es früh am Tag war, ruhte die Arbeit, und Dietgers Name hing über den dicht gedrängten Tischen und Bänken. Die Leiche war bei kaltem, doch wunderbar sonnigem Wetter in die Erde gesenkt worden, der Pfarrer hatte gesprochen, ebenso Dietgers Freunde. Die vorherrschende Meinung war, dass Dietger trotz seines plötzlichen Todes gute Aussichten auf einen Platz im Himmelreich hatte.
Hannes war froh, dass er weitsichtig genug gewesen war, seinen Neffen für diesen Nachmittag zum Helfen heranzuziehen. Steffen war zu einem kräftigen Burschen von fast siebzehn Jahren herangewachsen, der sich viel auf seinen spärlichen Bart und noch mehr auf seine Wirkung auf die Mädchen einbildete.
»Bertram hat schon wieder eine Runde bestellt«, verkündete er und stellte die leeren Krüge ab. »Wenn es so weitergeht, sprechen die Dietger noch heilig.«
Hannes schnitt eine Grimasse. »Wenigstens für den Umsatz ist der verdammte Kerl gut, also soll es mir recht sein. Trotzdem bin ich froh, dass Isentrud das hier nicht hören muss.«
»Oh?« Steffen grinste frech. »Ist was dran an dem Gerede von dir und der hübschen Witwe?« Er wich der Kopfnuss seines Oheims aus und griff nach den frisch gefüllten Krügen. »Ich versorg die Runde mit Nachschub, bevor sie ungeduldig werden«, rief er und eilte davon.
Hannes wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß aus dem Gesicht und sah aus der Entfernung zu, wie der Junge die Gruppe um Bertram bediente. Neben dem Töpfer saßen der Zimmermann, zwei junge Bauern aus der Umgebung und der alte Fischer Veit. Plötzlich sprang der Alte auf und versuchte, mit einer unsicheren Handbewegung nach Steffen zu greifen.
Hannes murmelte einen leisen Fluch. »Suffköpfe«, brummte er. »Hab ich mir doch gedacht, dass das bei denen nicht lang dauert.« Er zwängte sich hinter dem Schanktisch hervor und bahnte sich einen Weg durch die Gaststube. Die Männer verstummten sofort, als der Wirt vor ihnen auftauchte.
»Gibt es Probleme?«
Bertram ließ den Arm des Fischers los und wandte sich Hannes zu. »Nichts
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