Die Reliquie von Buchhorn
fragte sie und funkelte ihn aus ihren trüben Augen an. »Denk daran, dass er bald dein Schwager wird.«
»Ja, Mutter«, murmelte Eberhard. Er legte Fridrun die Hand zwischen die Schulterblätter und schob sie vorwärts. »Du hast einen Gast.«
Gudruns faltiges Gesicht hellte sich auf. »Na, das ist eine Überraschung. Komm rein, Mädchen! Bringst du uns Nachricht von Gerald und Eckhard?«
»Leider nein.« Sehnsüchtig blickte Fridrun zu dem frischen Brot hinüber, das Gudrun mit überraschend sicheren Bewegungen aufschnitt.
»Wie schade! Wir warten alle darauf, dass Wulfhard endlich den Hof verlässt, für immer!«
»Mutter!«
Sie zeigte mit der Messerspitze auf ihn. »Du hast es nötig, mein Sohn! Insgeheim gibst du doch Gisbert und allen recht. Ganz gleich, ob er schuldig ist oder nicht, dieser Bursche gehört nicht hierher! Ich bin nur froh, dass Anna mit Gisbert einen anständigen Mann gefunden hat.«
Eberhard verdrehte die Augen. »Natürlich, Mutter. Ich lass euch jetzt allein.« Fluchtartig verließ er die Küche.
Gudrun stemmte die Arme in die Seiten. »Männer!«, rief sie verächtlich. »Alle gleich! Er weiß genau, dass dieser Wulfhard ein schlechter Kerl ist. Aber kaum kann einer von der großen Welt erzählen und hat ein paar Prügeleien hinter sich, ist er ein Held. Dass du dich bloß von dem fernhältst, Mädel, du hast einen guten Mann.«
»Ja, Gudrun«, sagte Fridrun müde. »Aber eigentlich komme ich wegen Isentrud.«
Gudrun legte das Messer auf den Tisch und wischte ihre Hände an ihrem fleckigen Leinenkleid ab. »Wie geht es ihr?«
»Nicht so gut, schätze ich.« Ihr Magen knurrte erneut.
Gudrun lachte und reichte ihr ein großes Stück Brot.
»Danke.« Abwesend drehte Fridrun den weichen Teig zwischen den Fingern. Sie ließ sich am Tisch nieder und sah die Köchin flehend an. »Ich muss mit dem Grafen sprechen, bitte, es eilt!«
»Aber Kindchen! Der Herr hat keine Zeit. Er muss eine Grafschaft leiten, da kann er sich nicht um die Sorgen einer Witwe kümmern. Die Isentrud findet schon einen anderen. Sie ist ja nicht arm!«
»Aber es geht um Leben und Tod!«
Gudrun zog sich einen Hocker heran. »Erzähl!«, befahl sie kurz.
»Sie sagen, dass Isentrud Dietger getötet hat«, begann Fridrun. »Ich war dabei, als sie ihr heute in ihrem Haus aufgelauert haben.«
»Diese Kerle!«, rief Gudrun aus und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das ist natürlich etwas anderes. Wir machen das so: Die Herrschaft wartet auf ihr Mittagsmahl. Du wirst es ihnen bringen. Dann kannst du gleich sagen, was du zu sagen hast.«
»Aber so, wie ich aussehe …«
Gudrun schnitt ihr das Wort ab, indem sie ihr ein Tablett mit Schüsseln und Bechern in die Arme drückte. »Keine Ausflüchte, Mädchen! Außerdem ist es gut, wie du aussiehst. Wendelgard ist schwanger, und schwangere Frauen lassen sich leicht von ihren Gefühlen leiten. Also geh und mach das Beste aus dieser Gelegenheit.«
Fridrun erkannte, dass weitere Einwände sinnlos waren. Mit klopfendem Herzen folgte sie dem Weg zu Wendelgards Kemenate, den sie noch von ihrem letzten Aufenthalt auf dem Anwesen kannte. Aus den Schüsseln stiegen würzige Düfte nach Fleisch und Gemüse, und Fridrun bedauerte, nicht mehr von dem Brot gegessen zu haben.
Endlich stand sie vor dem Gemach der Herrin. Sie zögerte, atmete tief durch und klopfte dann beherzt mit der Fußspitze gegen die Tür. »Das Mittagsmahl«, rief sie und räusperte sich.
Es war die Stimme der Gräfin, die antwortete: »Komm herein!«
Mit der Schulter drückte Fridrun die Tür auf und trat ein. Sie hatte damit gerechnet, Graf und Gräfin vorzufinden, doch nur Wendelgard stand am Fenster und hielt ihre kleine Tochter in den Armen.
In Fridruns Kehle entstand bei dem Anblick von Mutter und Kind ein Kloß.
»So, mein Schatz, jetzt gehst du zu Gunhild, damit sie dir dein Mittagessen gibt.« Die Stimme der Gräfin hatte einen gurrenden Unterton, und sie fuhr dem kleinen Mädchen zärtlich durch die Haare.
»Aber Mama!«
»Keine Widerworte!« Wendelgard gab ihrer Tochter einen Klaps und sah zu, wie das Mädchen aus dem Zimmer hüpfte. Dabei bemerkte sie Fridrun. »Ich hatte mit Gudrun gerechnet!«
Fridrun verneigte sich scheu. »Verzeiht, Herrin, ich …«
»Kind, du siehst ja entsetzlich aus.« Es war nicht zu unterscheiden, ob Wendelgards Tonfall tadelnd oder mitfühlend war. Sie stemmte die Hände ins Kreuz und kam schwerfällig auf die jüngere Frau zu. Ihr eigenes Gesicht war
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