Die Reliquie von Buchhorn
blass, und um Augen und Mund hatten sich Falten eingegraben, die sie älter wirken ließen als noch vor Wochen. »Erzähl, was führt dich in diesem Aufzug zu mir? Doch keine schlechten Nachrichten von Gerald oder Eckhard?«
»Nein, Herrin.« Fridrun befeuchtete die Lippen mit der Zunge und betete, dass ihr Magen sie nicht verraten würde. »Ich bin gekommen, um für Dietgers Witwe, Isentrud, um Schutz zu bitten. Es gibt gemeine Gerüchte, dass sie ihren Mann umgebracht hat. Sie ist in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher.«
Wendelgards blonde Brauen hoben sich. »Und was habe ich damit zu tun? Oder gehörst du auch zu denen, die unbedingt Wulfhard die Schuld zuschieben wollen? Der Mann hat mir das Leben gerettet. Ich hätte mehr von dir erwartet!«
Fridrun wurde blass. »Nein, natürlich nicht, Herrin!«, beteuerte sie. »Ich glaube auch nicht, dass es Wulfhard war, aber …, aber Isentrud auch nicht. Und sie ist schwanger!«
»Schwanger?«, wiederholte Wendelgard. Sie legte die Hand auf den Bauch. »War sie nicht lange Zeit unfruchtbar?«
»Ja, Herrin. Ihr Mann hat ihr eine Reliquie mitgebracht, und nun …«
»Du willst sagen, dass die Männer in Buchhorn nicht nur eine schwangere Frau belästigen, sondern auch ein Gotteswunder verhöhnen? Das dulde ich nicht! Das dulde ich ganz und gar nicht! Ich werde die Witwe des Imkers unter meinen persönlichen Schutz stellen.«
»Danke«, stammelte Fridrun, etwas überrumpelt von dem raschen Stimmungsumschwung der Gräfin.
Wendelgard watschelte zum Fenster und beugte sich, so gut sie konnte, aus der Fensteröffnung. »Wulfhard!«, rief sie mit heller Stimme. Augenblicklich begann Fridruns Herz zu klopfen. »Komm, ich habe einen Auftrag für dich!«
Fridrun konnte die Antwort des Stallmeisters nicht hören, aber an Wendelgards zufriedenem Gesicht las sie ab, dass er gehorchte. Schweigend warteten die beiden Frauen, bis sie seine Schritte auf dem Gang hörten. »Tritt ein, Wulfhard!«, sagte Wendelgard mit einem Lächeln.
Der Stallmeister gehorchte und verbeugte sich tief. Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er Fridrun, die ihn verlegen anlächelte. Er zwinkerte ihr zu, ehe er sich wieder der Gräfin zuwandte. »Was kann ich für Euch tun, Herrin?«
»Kennst du Isentrud, die Witwe des Imkers?«
»Ja.«
»Sie soll auf das Anwesen gebracht werden. Sie steht unter Mordverdacht.« Wendelgard legte den Kopf schief. »Wie es scheint, glaubt Buchhorn nicht mehr, dass du es getan hast.«
»Das ist gut.« Wulfhard hatte Mühe, die Hände still zu halten. »Gibt es denn Beweise gegen Isentrud? Ich meine …«
Die Tür wurde aufgestoßen. Wulfhard verstummte schlagartig, als der Graf das Zimmer betrat. Udalrich musterte seinen Stallmeister von Kopf bis Fuß, bis dieser sich hastig verneigte. »Was machst du im Zimmer meiner Frau?«
»Ich habe ihn gerufen, Udalrich«, mischte sich die Gräfin ein. Sie streckte den Arm aus und griff spielerisch nach der Hand ihres Mannes. »Er soll etwas für mich erledigen.«
»Dann hoffe ich, dass es nichts außerhalb des Anwesens ist. Du weißt, dass er keine Erlaubnis hat, bis der Mordfall aufgeklärt ist. Was übrigens noch etwas dauern kann. Eben ist ein Bote von Eckhard gekommen. Er ist jetzt nach Altdorf unterwegs. Ich hoffe nur, dass es keine Scherereien mit den Welfen gibt.« Er schüttelte den Kopf und zog seine Frau an sich. Ein Ausdruck tiefer Zärtlichkeit huschte über sein Gesicht. »Ich möchte vorerst an nichts denken als an dich und unseren Sohn.« Als er ein Geräusch hinter sich hörte, drehte er sich um. »Was machst du noch hier?«, herrschte er Wulfhard an. »Sieh zu, dass du den Befehl deiner Herrin ausführst. Aber du weißt ja, du verlässt das Anwesen nicht!«
»Ja, Herr.«
»Gibt es sonst noch etwas?«
Wulfhard biss sich auf die Lippen. »Nein, Herr«, sagte er und zog sich zurück.
Fridrun sah ihm sehnsüchtig nach. Es war, als ob die Anwesenheit des Grafen die Kemenate schrumpfen ließ. Als Udalrich sie bemerkte, hätte sie sich am liebsten gegen die Wand gedrückt.
»Du bist die Frau meines Schmieds, nicht wahr?«
»Ja, Herr.«
Udalrich nickte vor sich hin, ehe er sich unvermittelt an die Gräfin wandte. »Brauchst du sie noch, mein Herz?«
Wendelgard lehnte sich an ihren Mann. In seinen Armen sah sie beinahe wieder wie eine junge Frau aus. Sie lächelte Fridrun zu. »Nein, ich denke nicht. Lass dich von Gudrun mit allem versorgen, was du brauchst, Mädchen, und hab ein Auge darauf, dass die
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