Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
gegen die eisige Kälte. Immerhin hatte es warmen Hirsebrei und heißen Würzwein gegeben. Vojtech schlief auf der Stelle ein, Rebekka hörte ihn gleichmäßig atmen.
Sie schloss die Augen. Morgen würde sie ihre leiblichen Eltern kennenlernen. Von ihren Zieheltern hatte sie noch immer keine Nachricht. Nur Gerüchte hatte sie in der Herberge aufgeschnappt: Alle Juden im Reich seien erschlagen worden; andere berichteten, Karl hätte die Juden gerettet; wieder andere behaupteten, die Juden hätten einige Städte in ihre Gewalt gebracht.
Rebekka hielt alles für dummes Geschwätz. Wenn sie erst in Pasovary war, konnte sie vielleicht ihre Eltern davon überzeugen, mit ihr nach Rothenburg zu reisen, um die Wahrheit herauszufinden. Ständig versuchte sie, sich ihre Gesichter vorzustellen. Stimmte es, dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich sah?
»Herr«, betete sie tonlos, »schütze meine Familie, wer immer sie sein mögen und wo immer sie sich aufhalten.« Ihre Augen wurden schwer. Die Strapazen der vergangenen Tage forderten ihren Tribut.
Jemand rüttelte an ihrer Schulter. Rebekka öffnete die Augen.
Vojtech lächelte sie an. »Es ist Zeit, Herrin, wir müssen weiter.«
»Aber …?«
»Ich habe Euch schlafen lassen. Zuerst dachte ich, Ihr wäret tot.« Vojtech lachte kurz auf. »Der Nachmittag ist fast vorüber, der Zug ist längst weitergezogen. Von hier sind es noch zwei Meilen bis Pasovary.«
Rebekkas Herz fing sofort an, wild zu schlagen. Noch zwei Meilen! Warum hatte Vojtech ihr das nicht gestern Abend gesagt? Sie wollte aufspringen, aber ihre Beine waren eingeschlafen, sie stolperte.
Vojtech hielt sie fest und richtete sie wieder auf. »Ihr müsst erst das Blut wieder in Eure Beine fließen lassen.«
Sie massierte sich die Muskeln, Schmerz schoss ihr in die Glieder, dann pikten sie tausend Nadeln. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich aufstehen und gehen konnte.
Vila stand bereit, Rebekka schwang sich in den Sattel, Vojtech saß ebenfalls auf und gab seinem Pferd die Sporen. Der Weg war gerade und sandig, sie fielen in einen langsamen Galopp.
An einer Gabelung nahm Vojtech den rechten Weg, der immer schmaler wurde, bis er vor einer halb verfallenen Hütte endete.
Vojtech stieg ab, betrat die Hütte. »Amalie! Schnell, kommt her. Bei Gott, dem Allmächtigen!«
Rebekka ließ sich aus dem Sattel fallen und eilte in die Hütte, aber da war nichts außer einem Strohlager, einem Schemel, einem Tisch und einem alten, verrußten Kamin. Auch Vojtech konnte sie nicht sehen, aber sie hörte ein bekanntes Geräusch. Ein Schwert, das aus der Scheide fuhr und dabei an einem metallenen Beschlag entlangschliff.
Bevor sie sich umdrehen konnte, explodierte Schmerz in ihrem Kopf, und sie wurde bewusstlos.
***
Schon von Weitem erhoben sich die Türme der Prager Burg über das Land. Johann war gut vorangekommen, der Handelsweg von Nürnberg nach Prag war durch Reichsburgen und Stadtpatrouillen geschützt, und er hatte immer unter einem festen Dach übernachten und eine warme Mahlzeit zu sich nehmen können.
Die Straße führte von Norden in den Teil Prags, der sich Kleinseite nannte und direkt unter der Prager Burg lag. Schon bald war er von den Gerüchen, Farben und Lauten der Stadt eingehüllt. Männer brüllten, Schweine grunzten, ein Hund bellte. Als er den Knall einer Peitsche hörte, musste Johann für einen Moment an die schrecklichen Geißler in Nürnberg denken. Menschen aller Stände drängten sich durch die Gassen, Bettler, Mägde, Bauern, Händler, Hofdamen, Ritter und Geistliche. Johann musste absitzen und das Pferd am Zügel führen. Es roch nach Moder, nach Holzfeuerrauch und süßem Würzwein. Benommen von so vielen Eindrücken, kämpfte er sich zum Moldauufer voran.
Als er die hölzerne Brücke erreichte, blieb er stehen, ergriffen von so viel Schönheit und Pracht. Was für eine wundervolle Stadt! Die Dächer der Kirchen glänzten in der Abendsonne, darunter zog still der Fluss. Johann spitzte die Ohren. Weiches Tschechisch mischte sich mit Deutsch, Johann glaubte sogar, Französisch zu hören. Die Menschen bewegten sich in ruhiger Geschäftigkeit, niemand rempelte ihn an oder schimpfte, weil er einfach stehen geblieben war.
Der Nürnberger Rat hatte ihm auf Druck Stromers ein Empfehlungsschreiben mitgegeben, das es ihm ermöglichen würde, während des Winters bei einem Prager Händler unterzukommen, einem Landsmann, den es vor Jahren von Nürnberg nach Prag verschlagen hatte. Im Gegenzug würde
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