Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
unwiederbringlich zerstört.
Engelbert hielt sich das Pergament an den Mund und leckte vorsichtig daran. Bleizucker! Eindeutig. Damit panschte man nicht nur Wein, damit konnte man auch unsichtbare Botschaften hinterlassen, die nur sichtbar wurden, wenn man Schwefelleber darüber träufelte. Aber wo sollte er so etwas herbekommen? Nur Alchimisten verfügten über solche Mittel. Vojtech musste mächtige Auftraggeber haben, wenn sie mit Bleizucker und Schwefelleber umgehen konnten.
Engelbert wandte sich an Bohumir. »Wir müssen uns aufteilen. Dreiergruppen durchkämmen die Gegend Elle für Elle. Jedes Haus, jeden Keller, jedes Kloster, jede Burg. Ich stelle allen Vollmachten aus, in jede Truhe zu sehen und jede Kammer zu durchstöbern. Wer sich weigert, den Suchtrupps Zugang zu gewähren, wird den Zorn des Königs zu spüren bekommen. Wir beide kehren nach Prag zurück. Der König muss wissen, dass sich hinter seinem Rücken etwas Dunkles zusammenbraut. Und ich brauche den Hofalchimisten, um die Schrift lesbar zu machen.«
»Sehr wohl, Herr«, sagte Bohumir mit ernster Miene.
Engelbert legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Lasst Tadeusz rufen. Er ist dafür verantwortlich, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt. Wenn nötig, soll er Mannschaften von anderen königstreuen Burgen rekrutieren. Aber er soll vorsichtig zu Werke gehen. Wir haben Mesenice gerade erst zurückerobert. Das Gerücht, dass die Ritter des Königs sich nicht hinter den Mauern aufhalten, könnte Begehrlichkeiten wecken.«
»Ich werde ihn auf der Stelle instruieren, Herr.« Er zögerte.
»Ja?«
»Herr, ich würde selbst gern helfen …«
»… nach dem Weib zu suchen?« Engelbert stieß Luft aus. »Ihr werdet in Prag gebraucht, Bohumir! Dort seid Ihr Amalie mehr von Nutzen, als wenn Ihr hier sinnlos durch die Wälder streift.«
»Sinnlos? Ihr glaubt nicht, dass die beiden noch in der Nähe sind?«
Engelbert seufzte tief. »Nein. Ich fürchte, sie sind längst über alle Berge.« Engelberts Magen zog sich zusammen. Wenn nur Rebekka die Anstifterin war und Vojtech der ihr treu ergebene Tölpel! Dann erfreute sie sich höchstwahrscheinlich bester Gesundheit und war auf dem Weg nach Prag.
Wenn jedoch Vojtech sie zur Flucht angestachelt hatte, dann konnte nur der mächtige Gegner dahinterstecken, der es schon in Prag auf sie abgesehen hatte. Der gleiche vermutlich, der den unglücklichen Sebastian Pfrümler hatte ermorden und zerstückeln lassen. Was dieser Mann mit Rebekka tun würde, wenn er sie erst in seiner Gewalt hatte, mochte er sich gar nicht vorstellen.
D AS UNSICHTBARE V ERMÄCHTNIS
D EZEMBER 1349/T EVET 5110
»Wir geben uns als Paar aus, dann schöpft niemand Verdacht. Was sagt Ihr, Amalie Belcredi?« Vojtech sah sie an.
Rebekka rieb sich müde das Gesicht. Der zweite Tag seit ihrer Flucht war angebrochen, und die erste Euphorie war Angst und Müdigkeit gewichen. »Warum nicht?«, sagte sie mit teilnahmslosem Schulterzucken. »Solange Ihr mir nicht zu nahe kommt.«
»Herrin …«
»Schon gut, Vojtech, ich zweifle nicht an Eurer Gesinnung.« Rebekka zwang sich, munter zu klingen. »Es ist sinnvoll, mit dem Wagenzug den Rest des Weges zu reisen. Es wäre dumm, wenn wir auf den letzten Meilen überfallen würden.«
Vojtech atmete sichtlich auf. »Ich danke Gott, dass er Euch so viel Vernunft gegeben hat.«
Rebekka schlug das Kreuz. »Ich danke Gott, dass er Euch zu mir gesandt hat.«
Sie führten die Pferde an den Zügeln und traten auf den Weg. Nachdem Vojtech sich so weit entblößt hatte, dass der Zugführer sehen konnte, dass er frei von Pestbeulen war, bezahlte er ein paar Münzen als Wegegeld.
Dankbar stieg Rebekka auf das Gefährt. In einer Herberge hatte Vojtech erfahren, dass sich Räuberbanden aus dem Osten in der Gegend der Stadt Chumetz herumtrieben, in deren Nähe Pasovary lag. Der König hatte bereits Truppen ausgesandt, um die Räuber zu stellen, aber noch waren sie auf freiem Fuß. Deshalb hatten sie beschlossen, besser nicht allein weiterzureisen.
Vojtech ließ sich neben ihr nieder. Er hatte ihr eingeschärft, nicht über ihr wahres Reiseziel zu sprechen. Überall konnten Spione lauern. Wenn jemand fragte, sollte sie sagen, sie seien auf dem Weg nach Chumetz, um einen alten Onkel zu besuchen. Doch sie wollte nicht mehr lügen. Sie stellte sich einfach stumm.
Ihr Nachtlager schlugen sie ein wenig abseits der übrigen Reisenden auf. Gemeinsam schlüpften sie unter eine Plane, die nur wenig Schutz bot
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