Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Johann seinem Gastgeber bei seinen Geschäften helfen, vor allem würde er ihm die Bücher richten. So war es vereinbart. Noch immer gab es viele Händler, die die Buchführung nicht richtig beherrschten, ja es gab sogar welche, die gar nicht lesen und schreiben konnten. Sie behalfen sich mit Kerbhölzern, Tontafeln und Steinsäckchen mit genau abgezähltem Inhalt.
Johann hoffte, in Prag etwas über eine neue Art der Buchführung zu erfahren, die ein Italiener entwickelt hatte. Vor zwei Jahren war ein Händler aus Genua in Rothenburg gewesen und hatte sich darüber verwundert gezeigt, dass die Händler dort immer noch auf veraltete Weise ihr Vermögen auflisteten. Doch als Heinrich von Wallhausen im Rat den Vorschlag gemacht hatte, Johann und einige andere Kaufmannssöhne gemeinsam nach Genua zu schicken, damit sie dort die neue Buchführung lernen konnten, hatten die anderen nur abgewinkt. Was bisher funktioniert hatte, das würde auch weiter funktionieren, war die einhellige Meinung.
In Prag gab es neuerdings eine Universität, so wie in Italien und Frankreich. Auch wenn die Professoren nur sehr spezielle Fächer lehrten wie Theologie oder Medizin, kannten sie sich bestimmt auch auf weiteren Gebieten aus. Johann hatte sich vorgenommen, einen der italienischen Professoren um eine private Lehrstunde zu bitten.
Am anderen Moldauufer fragte Johann nach dem Haus des Händlers Dietz Riemenschneider. In gutem Deutsch erklärte der Mann ihm den Weg: »Ihr seid fast da. Einfach die Gasse geradeaus weiterlaufen, dann kommt Ihr auf einen Platz. Die erste Gasse rechts, das dritte Haus.«
Johann bedankte sich. Nach ein paar hundert Fuß mündete die Straße auf einen großen Platz, der umgeben war von prächtigen Steinhäusern. Wenig später klopfte Johann an die Tür eines dreistöckigen Gebäudes und wies sein Empfehlungsschreiben vor.
Riemenschneider begrüßte ihn herzlich, lud ihn zum Essen ein, ließ sein Pferd unterstellen und wies ihm eine Kammer zu, die direkt über dem Kamin lag. Die Zeilen des Nürnberger Rats verfehlten offenbar ihre Wirkung nicht. Und Riemenschneider schien wirklich begierig darauf zu sein, seine Bücher in Ordnung zu bringen, denn er fragte Johann nach dem Essen, ob sie gleich beginnen könnten. Das konnte Johann schlecht ablehnen.
Sie begaben sich also in die Schreibstube des Händlers, und Johann schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Haufen von Pergamentrollen stapelten sich auf dem Schreibtisch und dem Boden, Truhen waren damit vollgestopft. Ein Gutes hatte es jedoch: Die Arbeit würde ihn vom Grübeln ablenken.
Als Erstes sortierten sie die Pergamente: Ein Haufen für die Eingangsrechnungen. Ein Haufen für die Ausgangsrechnungen. Ein Berg mit Verträgen, die Johann wieder unterteilte: Warenlieferungen, Grundstücke und Häuser, Liefervereinbarungen. Bis in die Nacht arbeiteten sie, und noch nicht einmal ein Zehntel der Dokumente waren bearbeitet. Johann musste jedes einzelne lesen, einordnen, in einer Liste erfassen und ihm dann einen Platz zuweisen. Immerhin war Riemenschneider kein Dummkopf. Er lernte schnell, Rechnungen von Verträgen zu unterscheiden. In einer Pause, die sie mit ausgezeichnetem Ziegenkäse und einem hervorragenden Wein verbrachten, erkundigte sich Johann bei seinem Gastgeber, wie er sein Geschäft bis jetzt bewerkstelligt hatte.
»Ganz einfach. Ich habe immer einen Schreiber dabeigehabt. Der hat geprüft, ob das, was wir mündlich vereinbart haben, auch in den Dokumenten steht. Aber in der letzten Zeit wurde es immer schwieriger, die Übersicht zu behalten. Deswegen bin ich so froh, dass Ihr mir helft. Könnt Ihr mir auch das Schreiben und Lesen beibringen?«
Natürlich konnte Johann das. »Es wäre mir eine Ehre.« Er zögerte, bevor er mit seiner Bitte herausplatzte. »Könnt Ihr mir im Gegenzug Zugang zur Universität verschaffen? Vielleicht zu den Lehrstunden eines Italieners?«
Riemenschneider hielt Johann die Hand hin. »Das ist mir ein Leichtes.«
Johann schlug ein. Sein Herz hüpfte vor Freude. All seine Wünsche würden in Prag mit etwas Glück in Erfüllung gehen. Er würde Rebekka wiederfinden. Und er würde an einer Universität die neueste Form der Buchführung studieren! Ach, könnte er doch nur für immer hierbleiben!
***
Das Siegelwachs zischte und dampfte. Karl presste das königliche Hoheitszeichen hinein, wartete einen Moment und hob es wieder ab. Die Pergamentstreifen hatten sich mit dem Wachs verbunden, Karl hatte dem Dokument damit
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