Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
er.
»Dann soll er mir gehorchen, denn ich bin auf unserem kleinen Ausflug der Stellvertreter des Königs.« Von der Hardenburgs Stimme klang so hart wie der Fels, in den die Bergleute den Gang gegraben hatten. »Das heißt nicht, dass ich nicht auf den Rat meiner Männer hören würde, vor allem auf Euren«, setzte er etwas versöhnlicher hinzu.
»Danke für Euer Vertrauen.« Bohumir nahm eine Fackel und entzündete sie. »Dann nehmt folgenden Rat an: Bringt Romerskirch nicht unnötig gegen Euch auf. Es könnte uns allen schaden.«
Von der Hardenburg nickte. »Ich werde es beherzigen, aber wenn er es zu weit treibt, muss ich ihn in seine Schranken weisen.«
Damit war das Gespräch beendet, und sie stiegen in den Gang. Es ging ein halbes Dutzend Stufen hinunter, dann geradeaus. Rebekka lief zwischen Bohumir und Engelbert. Der Ordensritter war heute unruhiger als sonst. Nicht nur, weil er zum wiederholten Mal mit Matyas Romerskirch aneinandergeraten war, sondern auch, weil er glaubte, diesmal endlich auf der richtigen Spur zu sein.
In den vergangenen Wochen hatten sie sich nicht nur nach besten Kräften häuslich in der Burgruine eingerichtet, sie hatten auch jeden unterirdischen Gang und jede Kammer freigelegt und abgesucht, die auf dem Plan verzeichnet waren. Manche waren nicht mehr als ein Hohlraum oder eine Nische gewesen, in der man etwas verstecken konnte, manche hatten sich als deutlich größer erwiesen. Die meisten waren völlig leer gewesen, bis auf einige Fackelhalter an den Wänden und jede Mange Staub und Dreck. Zum Schluss hatten sie den Gang, in dem der König Zuflucht vor dem Feuer gesucht hatte, nochmals in Augenschein genommen. Eigentlich waren sie nicht davon ausgegangen, dort etwas zu finden, denn Karls Männer hatten den kurzen Tunnel damals gründlich untersucht. Doch dann waren die Ritter auf eine Schwachstelle in der Mauer gestoßen, als sie dort einen Fackelhalter hatten anbringen wollen. Sie hatten die Mauer eingerissen und einen weiteren Gang entdeckt, der etwa auf halber Strecke von Karls Fluchttunnel abzweigte: ein unterirdischer Weg, der nicht auf dem Plan verzeichnet war.
Das war kurz nach dem Morgengebet gewesen. Jetzt war es Mittag, und der Schutt war so weit weggeräumt, dass Rebekka, Engelbert und Bohumir den Geheimgang untersuchen konnten.
Rebekka hielt sich dicht hinter Bohumir. In der Luft hing der Geruch von Fäkalien, und Rebekka musste daran denken, dass etwa ein Dutzend Männer hier eine Nacht lang ausgeharrt hatten. Als sie den Durchbruch erreichten, bogen sie ab und folgten schweigend dem Verlauf des verborgenen Tunnels. Auch er war nicht lang. Schon nach wenigen Schritten machte er einen Knick und endete kurz darauf in einer Öffnung, hinter der sich ein großer Raum ausbreitete. Sprachlos blieb Rebekka im Eingang stehen. Auch Engelbert und Bohumir rührten sich nicht.
Im flackernden Licht der Fackeln tat sich vor ihren Augen eine Bibliothek auf, gegen die sogar die beeindruckende Schriftensammlung des Noah ben Solomon geradezu bescheiden wirkte. Hunderte Bücher und Pergamente lagen in Regalen und hölzernen Kästen, hinter denen die Wände schwarz glänzten. Manche Truhen waren geöffnet und quollen über von Pergamentrollen, andere waren geschlossen. Die Luft war erstaunlich frisch. Irgendwo musste sich ein Schacht verbergen.
Von der Hardenburg betrat den Raum, steckte die Fackel in einen der Wandhalter und strich mit dem Finger am Mauerwerk entlang. »Pech. Gut ausgehärtet. Schützt vor Feuchtigkeit.«
Rebekka folgte ihm, nahm ein Buch aus einem der Regale und schaute es sich an. Es war ein Psalterium, eine Sammlung der biblischen Psalmen. In Gold prangten große Buchstaben. Sie blätterte weiter, ein Bild bedeckte eine Seite, und es war so lebendig, dass die Figuren Rebekka zuzuwinken schienen. Gewidmet war es einer Königin von Jerusalem: Melisende, Tochter des Königs Balduin II. und der Prinzessin Morphia von Melitene. Die Namen sagten Rebekka nichts, aber dass eine Frau Königin von Jerusalem gewesen sein sollte, konnte sie kaum glauben.
Sie stellte das Buch zurück, zog das nächste heraus, das mit einem breitem Rücken und einem schmucklosem Einband versehen war. Sie schlug es auf, las und konnte einen Schrei nicht unterdrücken. Es war auf Hebräisch verfasst. Sie stutzte. Las weiter. Sie kannte die Worte, kannte den Text. Adonai! Erschrocken ließ sie das Buch fallen. Es war eine Thora, aber nicht als Rolle, sondern als Buch. Eine echte Thora durfte
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