Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
warf mindestens ebenso viele Fragen auf, wie er beantwortete:
Unseren größten Schatz hütet der heilige Georg eigenhändig in der ihm geweihten Kapelle zu Rothenburg ob der Tauber.
Es gab keine Kapelle in Rothenburg, die dem heiligen Georg geweiht war. Auch nicht in den umliegenden Dörfern. Engelbert selbst hatte nie davon gehört, und einer der Ritter, der aus der Gegend stammte, hatte es ihm bestätigt. Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als jedes Gotteshaus in der Stadt nach versteckten Hinweisen zu durchsuchen. Ein schwieriges Unterfangen, zumal niemand etwas davon mitbekommen durfte.
Der Himmel hatte sich im Laufe des Tages zugezogen, nun brach die Nacht herein, sie mussten lagern. Zumindest an Essen und Trinken mangelte es ihnen nicht. Der Wagen, der tagsüber zum Transport der Vorräte und Waffen und des Nachts als Rebekkas Lager diente, wurde entladen.
Engelbert bewunderte Rebekkas Selbstbeherrschung. Dass die Reliquie ausgerechnet in ihrer Heimatstadt zu suchen war, in der Stadt, in der ihre Eltern ermordet worden waren, musste ihr wie ein böser Streich des Schicksals vorkommen. Doch Engelbert wusste, dass Gott niemals etwas ohne Grund tat, auch wenn es manchmal schwerfiel, an seinen geheimen Ratschlüssen nicht zu zweifeln. Rebekka ließ sich nichts anmerken, niemand außer ihm und Bohumir wusste, wer sie wirklich war, dennoch ließ Engelberts Wachsamkeit keinen Moment nach.
Er teilte die Wachen ein, danach beschloss er, sich Zeit zu nehmen zum Beten und zur Einkehr. Engelbert spürte seit einiger Zeit öfters eine seltsame Enge in seiner Kehle, so, als drücke sie jemand langsam zu. Er musste zu seiner Klarheit zurückfinden, musste zurückfinden zu seinem unerschütterlichen Vertrauen zu Gott und zum König. Er sagte Bohumir Bescheid, dass er sich in den Wald zurückziehen wolle. Der Ritter der königlichen Leibgarde runzelte zwar missbilligend die Stirn, versuchte aber nicht, ihn davon abzuhalten.
Engelbert schob sich durch das Gebüsch, das die Lichtung umgab, und marschierte los. Seine Fackel würde zwei oder drei Stunden Licht spenden. Das genügte. In regelmäßigen Abständen markierte er die Bäume, an denen er vorbeikam. Hier und da lag noch etwas Schnee, der Waldboden federte und gluckste vom Schmelzwasser.
Als das Lager außer Hör- und Sichtweite war, rammte er das Schwert und die brennende Fackel nebeneinander in den weichen Boden. Dann legte er seinen Umhang ab und sank auf die Knie. Nässe drang durch die Beinlinge. Er fröstelte, faltete die Hände und senkte den Kopf.
»Allmächtiger Herr im Himmel«, begann er. »Dein Wille geschehe jetzt und immerdar.« Er lauschte. Nichts. Noch nicht einmal der Schrei eines Nachtvogels drang durch den Wald. Der Wind hatte sich gelegt, die Baumwipfel schwiegen, als wollten sie Engelbert nicht ablenken.
»Herr, gib mir die Stärke, zu tun, was getan werden muss. Gib mir den Willen, auch das unmöglich Erscheinende zu tun. Gib mir die Weitsicht, zu erkennen, wer mein Feind ist und wer mein Freund. Gib mir die Kraft, wieder auf den Weg der Wahrheit zurückzukehren, meinem König gegenüberzutreten und ihm alles zu beichten, was ich ihm verschwiegen habe.«
Engelbert verstummte und ließ seinen Gedanken freien Lauf, ließ alle Erinnerungen aufsteigen. Wild purzelten sie durcheinander, gestern Erlebtes vermischte sich mit Bildern aus seiner Kindheit, dem Kloster, in dem er aufgewachsen war, der Peitsche, die ihn gelehrt hatte, stark zu sein. Ein Wildbach toste durch seinen Kopf, riss alles mit. Schwindel überkam Engelbert, doch dann ließ die Wucht des Stromes nach, schließlich plätscherten nur noch einige wenige Bilder dahin, bis er an nichts mehr dachte. Sein Bewusstsein war eingeschlafen, aber er war hellwach, spürte sich, spürte die Welt um sich herum, jeden Ast, jede Tannennadel, spürte die Macht Gottes, spürte, dass Gott alles durchdrang und dass er immer auf dem richtigen Weg wandelte, wenn er den Weg Gottes ging. Denn Gott war in ihm, und er war in Gott.
Plötzlich ließ Engelbert sich zur Seite fallen, griff nach seinem Schwert, federte hoch und ging in Kampfstellung. Noch bevor sein Bewusstsein zurückgekehrt war, hatte er die Gefahr gespürt, und sein Körper hatte richtig reagiert.
Vor ihm stand Matyas Romerskirch, die leeren Hände erhoben.
Engelbert ließ das Schwert sinken. »Ihr liebt die Gefahr, Matyas. Um ein Haar hätte ich Euch erschlagen. Warum habt Ihr Euch nicht bemerkbar gemacht?«
»Verzeiht, aber es
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