Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
schwerzufallen, ihm zu glauben. Dabei hatte er ihr die Wahrheit erzählt, in groben Zügen jedenfalls.
»Aber ich werde ohne zu zögern töten, wenn es notwendig ist«, fuhr er fort. »Wenn ich das Leben des Königs, Eures, das meiner Männer oder mein eigenes verteidigen muss. Glaubt mir: Ich habe noch nie aus Lust getötet und werde es auch nie tun.« Er hob die rechte Hand zum Schwur. »So wahr mir Gott helfe.«
Engelbert meinte, was er gesagt hatte. Und es war wichtig, dass Rebekka wieder Vertrauen zu ihm fasste, dass sie ihn als Ehrenmann respektierte. Er sah sie an. Sie wirkte unschlüssig. War er zu weit gegangen?
***
Fröstelnd blickte Rebekka auf die Oberfläche der Moldau, auf der sich kleine Wellen kräuselten. Auf der Brücke war es heute besonders eng, Arbeiter schmückten das Bauwerk mit Blumengirlanden. Überall wurde von nichts anderem gesprochen als der Krönung der neuen Königin. Rebekka seufzte. Engelbert hatte ihr mitgeteilt, dass ihre Anwesenheit erwartet wurde. Ihr graute davor. Sie hatte Angst, vor Aufregung einen Fehler zu begehen, der sie als eine Jüdin verriet.
Ärgerlich wischte sie den Gedanken fort und betrat die Brücke. Sie wollte den Hauptmann Vojtech von Pilsen aufsuchen und herausfinden, ob er zu seinem Wort stand. Sie brauchte Hilfe, und Engelbert hatte sie ihr versagt. Unwillkürlich fasste Rebekka sich an den Hals. Ihre Kehle schmerzte noch immer von Engelberts Griff. Hatte er ihr wirklich eine Lektion erteilen wollen? Oder hatte sich eine plötzliche Mordlust seiner bemächtigt? Sie wusste es nicht. Aber sie hatte beschlossen, ihm vorerst seine Erklärung zu glauben – und trotzdem auf der Hut zu sein.
Nach der merkwürdigen Lehrstunde hatte Engelbert sie zum Haus des Pakomeric von Gansenberg begleitet, des Mannes, der angeblich mehr über das Schicksal der Juden in Rothenburg wissen sollte.
Der Ordensritter kannte den Mann sogar. »Gansenberg hat seinen Handel in Porice, direkt auf der anderen Seite der Stadtmauer«, hatte er erklärt und unter seinem weißen Habit mit dem schwarzen Kreuz sein Schwert gegürtet und zusätzlich einen Dolch an den Gürtel gesteckt.
Sie waren auf die Gasse getreten, hatten das Porici-Tor passiert und nach einem kurzen Fußmarsch ein schmales, aber hohes Steinhaus erreicht. Dort hatte der Ordensritter an die Tür geklopft, doch ohne Erfolg. Im Haus blieb es stumm.
Schließlich hatte eine Magd ihren Kopf aus dem Fenster des Nebenhauses herausgereckt. »Der Pakomeric ist nicht da. Ist in Nürnberg. Dauert eine Weile, bis er wiederkommt. Vermutlich erst nach dem Winter.«
Rebekka hatte enttäuscht den Kopf geschüttelt. »Aber wir brauchen eine Auskunft.«
Die Magd hatte gelacht. »Dann fragt doch das Abecedarium von Prag. Sein Hof liegt einen Steinwurf vom Minoritenkloster entfernt, wenn Ihr die Stadt in Richtung Vyšhrad verlasst. Es ist nicht zu verfehlen.« Die Magd grinste und verschwand.
Der Ordensritter schlug sich mit der Faust in die Hand. »Das Abecedarium von Prag! So ein Unsinn.« Er wandte sich an Rebekka. »Lasst Euch kein dummes Zeug erzählen. Ich selbst werde versuchen, in Erfahrung zu bringen, was in Rothenburg geschehen ist. Gebt mir ein paar Tage Zeit. Aber lauft nicht weiter in der Stadt herum und stellt Fragen. Damit erregt Ihr nur Aufmerksamkeit.«
»Wie Ihr wünscht«, hatte Rebekka mit einem zuvorkommenden Lächeln erwidert. Doch auf dem Rückweg in die Stadt hatte sie darüber nachgedacht, wie sie ohne den Ordensritter in Erfahrung bringen konnte, was sie zu wissen begehrte. Und dabei war ihr Vojtech von Pilsen in den Sinn gekommen.
Nach einer weiteren Nacht im Haus des Tassilo Severin hatte sie vormittags in Begleitung der Magd die neuen Kleider bestellt, so, wie Engelbert es ihr aufgetragen hatte. Vor zwei Tagen hatte sie nach ihrem Besuch im Judenviertel völlig vergessen, sich darum zu kümmern. Nachdem die Stoffe ausgewählt und die Schnitte abgesprochen waren, hatte sie die Magd fortgeschickt und sich auf den Weg zum Hradschin begeben, um den Hauptmann um Hilfe zu bitten. Vielleicht würde er ihr einen seiner Männer zur Verfügung stellen, um sie sicher aus der Stadt zu geleiten.
Rebekka erreichte das andere Ufer und kurz darauf das Burgtor. Eine der Wachen erkannte sie wieder und rief den Hauptmann herbei. Als Rebekka ihm ihr Anliegen vortrug, erklärte er sich sofort bereit, sie höchstselbst zu begleiten. Er fragte nicht, was sie vom Abecedarium wissen wollte, und Rebekka verschwieg es wohlweislich.
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