Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
hatte. Sie nahm sich vor, es diesmal besser zu machen. Entschlossen klopfte sie sich den Staub vom Kleid, stieg wieder auf und ließ Vila im Schritt gehen. Sie presste die Schenkel etwas stärker, und schon nahm das Tier Tempo auf. Sie hielt die Zügel locker mit einer Hand, atmete aus und ließ die Stute angaloppieren. Sie fühlte sich in die schwingenden Bewegungen ein und gab mit der Hüfte das Tempo vor. Das Ende des Feldes kam in Sicht. Rebekka drehte leicht den Oberkörper nach links, achtete darauf, dass sie nicht in der Hüfte einknickte. Die Zügel legte sie leicht an Vilas rechte Halsseite an. Das Pferd schnaubte leise und legte sich in eine lang gezogene Linkskurve. Rebekka drehte sich wieder gerade, Vila reagierte sofort, Rebekka ließ sie in einen gestreckten Galopp fallen und hielt auf den Ordensritter zu, der nicht von der Stelle wich. Nur wenige Fuß vor ihm parierte sie Vila durch und brachte sie zum Stehen.
»Gut gemacht.« Von der Hardenburg streichelte Vila über die Nüstern, sie schnaubte leise. »Vila ist ein besonderes Pferd, vergesst das nie. Sie fühlt, was Ihr fühlt. Wenn Ihr schlecht gelaunt seid, wird sie es auch sein, seid Ihr ungeduldig, wird sie kaum zu bändigen sein.« Er gab dem Tier einen Klaps. »Für heute ist es gut. Bringt Vila in den Stall, striegelt und wascht sie gründlich.«
Rebekka tätschelte Vila am Hals. Es stimmte. Vila war unglaublich feinfühlig. Wenn sie genau darauf achtete, konnte sie im Verhalten der Stute ihre Stimmung widergespiegelt sehen wie ihr Gesicht auf der Wasseroberfläche eines Sees.
Rebekka lenkte Vila zum Stall, nahm den Sattel herunter und begann, sie mit nassem Stroh abzureiben. »Dein Herr ist ein seltsamer Mann«, murmelte sie, ohne die Arbeit zu unterbrechen. »Ich weiß nicht, was ich von ihm denken soll, und ich fürchte, er führt nicht nur Gutes im Schilde.«
Als hätte Vila sie verstanden, drehte sie ihren Kopf und schüttelte ihn leicht.
»Du verteidigst ihn, weil er dein Herr ist, du dummes Pferd«, sagte Rebekka. »Aber ich sehe, wie finster er manchmal dreinblickt. Und ich weiß, wie unerbittlich er sein kann, wenn er ein Ziel verfolgt.«
Rebekka vergrub ihr Gesicht in Vilas Fell. Sie musste plötzlich an Johann denken. Wie es ihm wohl gehen mochte? Ob er manchmal an sie dachte? Ob er sie so sehr vermisste wie sie ihn?
F EBRUAR 1347/A DAR 5107
Das Purimfest stand bevor, und der Schnee lag wie eine weiße, stille Decke über der Stadt. In den Gassen hatte er sich längst in hässlichen grauen Schlamm verwandelt, doch auf den Dächern der Häuser, auf den Brunnenrändern und den kahlen Ästen der Bäume schimmerte er im letzten Sonnenlicht des Tages wie tausende Kristalle.
Rebekka stand in der Haustür und sah zu, wie in den Häusern nach und nach die Lichter entzündet wurden, der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Sie hatte soeben die Stube ausgefegt und frisches Stroh auf dem Boden verteilt, das den köstlichen Duft des vergangenen Sommers verströmte. Am Morgen hatte Vater ein ernstes Gespräch mit ihr geführt, bei dem es um ihre Zukunft gegangen war. Vater hatte ihr mitgeteilt, dass er mit Jakob ben Elias, einem wohlhabenden Geldverleiher, übereingekommen war, dass Rebekka Jakobs ältesten Sohn Abraham heiraten sollte, sobald dieser von seiner Reise zurückkehrte. Abraham besuchte Verwandte im Süden Frankreichs, seinen Bruder, der in Montpellier Medizin studierte, und einen Onkel in Marseille, und würde wohl noch einige Monate dort bleiben. Die Hochzeit sollte im kommenden Jahr stattfinden. Rebekka hatte Abraham einige Male gesehen, und der hagere, hochgewachsene Mann mit den strengen Augen hatte ihr immer ein wenig Angst eingeflößt. Die Männer hatten beschlossen, dass Rebekka ihre Studien beim Rabbi beenden sollte, sobald das Verlöbnis offiziell war. Abraham würde die Geschäfte seines Vaters übernehmen, und Rebekka hatte längst genug gelernt, um ihm beim Führen der Geschäftsbücher zur Hand zu gehen. Rebekka hatte die Ankündigung ihres Vaters still angehört. Auch wenn sie damit gerechnet hatte, weil ihr nicht verborgen geblieben war, wie ihre Eltern in letzter Zeit öfter heimlich miteinander gesprochen hatten, traf sie die Aussicht, schon im nächsten Jahr eine verheiratete Frau zu sein, wie ein Schlag. Plötzlich sah sie ihre ganze Welt zusammenschrumpfen auf die Größe einer Wechselstube in der Judengasse. Keine Studien mehr mit dem Rabbi, keine heimliche Lektüre der Verse von Walther von der
Weitere Kostenlose Bücher