Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
er mit der Hand durch die Luft.
»Ihr seid zu gütig«, erwiderte Rebekka verlegen. Sie wusste nicht, was Engelbert von der Hardenburg Severin über sie erzählt hatte. Bestimmt nicht die Wahrheit. Es war ihr unangenehm, diesen anständigen Mann zu betrügen.
Severin winkte ab. »Hör nicht auf einen alten sentimentalen Grübler. Heute wird gefeiert.« Er hielt ihr seinen rechten Arm hin. »Darf ich bitten?«
Rebekka knickste, hakte sich unter und verließ mit ihrem neuen Onkel das Haus. Sie tauchten ein in den unablässigen Strom von Menschen, der auf die Prager Burg zueilte.
Bereits von weitem konnte sie von der Hardenburg erkennen, der sie am Moldauufer erwartete. Seine glänzende Rüstung, sein strahlend weißer Habit und der Umhang mit dem schwarzen Kreuz leuchteten wie eine Kerze und stachen aus den vielen bunten Gewändern hervor. Als er sie erkannte, winkte er ihnen wortlos zu. Gemeinsam passierten sie die Brücke und strebten dem Hradschin zu. Die Krönung würde in dem noch unvollendeten Gotteshaus in der Burg stattfinden. Die Wachen, die nur geladene Gäste in die Kirche vorließen, erkannten Engelbert von der Hardenburg und winkten ihn und seine beiden Begleiter durch.
Der Ordensritter nahm Rebekkas Arm. »Wir haben unsere Plätze in der Nähe des Altars, wir werden der Königin in die Augen schauen können.«
Rebekka spürte ihr Herz bis in den Hals schlagen. Sie, das jüdische Mädchen, das gar keine Jüdin, aber auch keine Christin war, bewegte sich wie selbstverständlich im Zentrum der Macht. Das Treiben erfüllte sie mit aufgeregter Freude, und obwohl sie immer noch nichts von ihren Zieheltern gehört und nur düstere Blicke geerntet hatte, wenn sie den Namen Belcredi fallen ließ, schien es ihr heute, als müsse alles gut werden. Ganz anders von der Hardenburg. Er wirkte niedergeschlagen. Tiefe Ringe zeichneten sich unter den Augen ab, die, selbst als er auf dem Lager halbtot gelegen hatte, nicht so dunkel gewesen waren. Seine Bewegungen waren fahrig, sein ganzer Körper schien angespannt zu sein. Irgendetwas musste vorgefallen sein.
»Nach der Krönung werden wir uns unverzüglich zur Kommende begeben. Wir haben noch einiges für unsere Reise vorzubereiten«, sagte er, und seine Blicke huschten unstet umher.
Rebekka war enttäuscht. Sie hatte gehört, dass Gaukler auftreten würden, Tänzer und Feuerschlucker, die ganze Stadt würde ein einziger Jahrmarkt sein. Sollte sie all das verpassen? »Aber wir sind schon den Krönungsweg zur Burg Vyšehrad nicht mitgegangen …«
Von der Hardenburg schnitt ihr das Wort ab. »Keine Widerrede. Der König wünscht es. Kommt jetzt.«
Rebekka hatte keine Wahl, Tassilo zuckte nur mit den Schultern, also setzten sie sich in Bewegung. Sie mussten sich durch die Menschen hindurchdrängeln, jeder wollte so nah wie möglich am Altar stehen, von der Hardenburg schob die edlen Herren und Damen, die Ritter, Geistlichen und Edelleute freundlich, aber bestimmt zur Seite, bis sie ihren Platz erreicht hatten, an dem bereits drei Ordensbrüder der Kommende warteten, die von der Hardenburg mit steinernen Mienen begrüßten. Rebekka nickten sie knapp zu. Sie erwiderte den Gruß und beschloss, sich wenigstens das Krönungsspektakel von niemandem verderben zu lassen.
Eine mächtige Glocke erklang, die Luft begann zu schwingen, mit jeder Faser spürte Rebekka, dass der heutige Tag ein besonderer war. Sie blickte nach oben, der Glockenturm war kaum mehr als ein hölzernes Gerüst, aufgesetzt auf den schmaleren älteren Kirchturm. Die Glocke schien in der Luft zu schwingen, darüber strahlte hellblauer Herbsthimmel.
In die Schläge der Glocken mischten sich Fanfaren, Jubel rollte ihr vom Eingang der Kirche entgegen. Zuerst schwieg Rebekka, doch dann riss sie der tausendstimmige Chor mit, und sie begann, aus vollem Halse zu schreien: »Es lebe unser König! Es lebe unsere Königin Anna! Gott beschütze unseren König! Gott beschütze unsere Königin!«
Rebekka stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte aber nichts sehen. Von der Hardenburg trat an ihre Seite und schob sie durch die Menge bis nach vorne. Sein Habit und sein Auftreten ließen die Menschen zur Seite weichen wie hohes Gras. Endlich konnte sie den Mittelgang entlangschauen. Angeführt wurde der Zug von zwölf Priestern, die silberne Kessel schwangen, aus denen es rauchte und qualmte. Rebekka verschlug es den Atem. Nie zuvor hatte sie solche Pracht gesehen. Die Kessel verströmten den betörenden Duft von
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