Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Weihrauch, die Priester sangen leise. Rebekka verstand kein Wort, obwohl sie des Lateinischen mächtig war. Als Nächstes kamen vierundzwanzig Bischöfe, die nach rechts und links die Gläubigen segneten. Einer war so dick, dass er vor Anstrengung schwitzte.
Der König und die Königin waren noch immer nicht zu sehen, aber Rebekka erkannte schnell, wo sie sich gerade befinden mussten: Dort verbeugten sich die Menschen tief, es sah aus, als würde eine Windböe durch ein Weizenfeld wehen und die Stängel biegen. Hinter den Bischöfen stolzierten die Kurfürsten. Rebekka hatte nicht gewusst, dass ein König gewählt werden musste, dass er sich die wahlberechtigten Fürsten gefügig machen musste. Das hatte von der Hardenburg ihr erklärt, als er ihr den Ablauf der Krönungszeremonie geschildert hatte. Bei seinen Erklärungen hatte der Ordensritter über die gierigen Kurfürsten geflucht, hatte sie Schmarotzer genannt, die eines Königs wie Karl nicht würdig wären. Dann hatte er Rebekka schnell dazu verpflichtet, niemals weiterzuerzählen, was er gesagt hatte. Rebekka hatte es geschworen und sich über diese seltsame Welt gewundert, von der sie zu Hause so gut wie nichts erfahren hatte.
Rebekka spürte eine Hand im Genick, die sie herunterdrückte, aber bevor sie ganz gebeugt war, erhaschte sie noch einen Blick auf Anna von der Pfalz und ihren Gatten, den König Böhmens und des Deutschen Reiches. Karl schien unnahbar, er starrte wie entrückt in die Ferne, über die Köpfe der Kurfürsten, Bischöfe und Priester hinweg. Die Königin schaute auf die Menschen, und so trafen sich ihre Blicke für den Bruchteil eines Wimpernschlags. In diesem winzigen Augenblick las Rebekka in Annas Augen Glück und Stolz, aber auch Angst, Einsamkeit und Heimweh. Diese Frau, kaum älter als sie selbst, hatte mehr mit ihr gemeinsam, als sie geahnt hatte.
Der Moment verflog, Rebekka richtete sich wieder auf, hinter dem Königspaar folgten die Heerscharen der Ritter und Fürsten aus allen Teilen des Reiches, ohne die Karl seine Länder nicht hätte verwalten können. Auch das hatte der Ordensritter ihr erklärt: Karl war ein König, der wie ein Kaufmann dachte, denken musste. Und er war gut darin.
Die Fanfaren verstummten, der letzte Glockenschlag verklang, Stille kehrte ein. Hier und da hustete jemand oder schnäuzte sich die Nase.
Der Bischof von Trier begann die Krönungsmesse, und Rebekka schien es, als ob die Zeremonie kein Ende nehmen wollte. Endlich senkte sich die Krone auf Annas Haupt, der Bischof drehte sich zu den Menschen und erklärte ihnen, was sie schon längst wussten: Anna war ihre Königin. Jetzt gab es kein Halten mehr. Tausende. Kehlen schrien sich heiser, Tücher wurden geschwenkt, Holzklappern rasselten, die Wachen schlugen mit Speeren an ihre Schilde. Karl lächelte milde, Anna strahlte glückselig.
Rebekka hatte erwartet, dass der Jubel bald abebben würde, aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil. Das Königspaar setzte sich in Bewegung, der Jubel schwoll an, wieder beugten die Menschen das Knie, aber der Lärm blieb und vervielfachte sich, als König und Königin nach draußen traten. Lange hatte es gedauert, aber jetzt ließen auch die, die im Freien hatten warten müssen, ihren Gefühlen freien Lauf. Rebekka verspürte mit einem Mal ein Stechen hinter den Schläfen und rieb sich mit den Fingern darüber, um es zu vertreiben.
Von der Hardenburg beugte sich zu ihr. »Stellt Euch vor, es wäre doppelt so laut und die Menschen würden vor Schmerz und Wut und Hass schreien. Dann habt Ihr eine kleine Vorstellung davon, wie es auf einem Schlachtfeld zugeht.«
Der Zauber der Krönung verflog. Rebekka drehte sich von der Hardenburg zu und funkelte ihn an. »Immer denkt Ihr nur an das Schlechte! Ihr seid ein verbitterter Mann, Engelbert von der Hardenburg!«
Er senkte betroffen den Blick. »Verzeiht, ich werde versuchen, mich zu mäßigen.«
Doch Rebekka glaubte ihm kein Wort. Inzwischen war sie sicher, dass alles, was der Ordensritter sagte oder tat, Teil der Lektionen war, die er ihr verabreichen wollte. Hegte er die Absicht, sie für die Aufgabe zu stählen, die sie für den König ausführen sollte? Oder für etwas ganz anderes? Etwas, das mit ihrem Namen und mit ihrer Herkunft zu tun hatte?
Sie verfielen in Schweigen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Kirche allmählich leerte. Der Krönungszug war bereits weitergezogen, der Platz quoll aber immer noch über von Menschen. Der Ordensritter
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