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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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finsterem Blick.
    »Hat er dir weh getan?« fragte Beniamino.
    »Natürlich, sehr sogar«, antwortete die Frau düster, fast beleidigt.
    »Wie sehr denn?«
    Mita schwieg eine Weile, dann packte sie mit einer Hand ihren Ellenbogen, krümmte sich zusammen und begann zu weinen.
    »Schön, meine lieben Närrchen. Jetzt gehen wir alle zusammen mit unseren kaputten Knochen raus auf den Hof, um unsere Schmerzen ins Freie zu bringen«, rief Beniamino der Gruppe zu und begann, noch während er sich zur Tür umdrehte, laut zu jammern und zu ächzen, und sein Gang wurde noch unbeholfener und schleppender als sonst.
    »Und ich will, dass man sieht, wie wir leiden. Ich will, dass man hört, wie weh es tut, wenn der Knochen in Stücke bricht. Hinterher auf dem Hof versuchen wir, alles wieder zusammenzuflicken.«
    »Aber wir sind doch keine Ärzte«, wandte Renatina besorgt ein.
    »Dann werden wir heute auch das lernen«, erwiderte er und hakte die Frau unter.
    So sah Elemira mit Tränen in den Augen, wie ihr Sohn sich hüftlahm und wunderschön an die Spitze einer Gruppe aus hinkenden, humpelnden, schwankenden Gestalten setzte, die, ihr wirkliches Leiden zum Schein mit sich schleppend, nach draußen gingen, um es auf den Wiesen und in den Lüften zu verteilen.

I N DIESER N ACHT fing Renatina an zu weinen, als es Zeit zum Schlafengehen war. Sie blieb auf der Treppe sitzen, die in die oberen Zimmer führte, kauerte sich auf einer Stufe zusammen und begann ohne erkennbaren Grund zu wimmern. Marcella lief los, um Beniamino zu holen, der mit Marzi, Renzo Bardi und Fosco noch immer draußen saß. Es war ein ganz besonderer Tag gewesen, ein seltsamer und wichtiger Tag. Beniaminos Ängste, vor den anderen in der Küche ausgebreitet, waren unerwartet zum Haken geworden, um den die Ängste der anderen sich gewickelt hatten, bis sie ein Knäuel aus Gefühlen, Worten und Gesten bildeten, das ihm schließlich Erleichterung verschafft hatte. Elemira, der dieses eigentümliche Benehmen anfangs Sorgen gemacht hatte, war zu ihm gegangen, als nach der Aufregung am Vormittag wieder Ruhe eingekehrt war, und hatte ihn fest an sich gedrückt, und in den Tränen in ihren Augen hatten beide endlich ihr ganzes Leid ertränken wollen.
    Später war Renzo Bardi gekommen und hatte unter großen Mühen, in abgerissenen Sätzen und verlegen die Hände ringend mit Beniamino über die nichtvorhandenen Rosen in der Küche sprechen wollen. Er habe sich große Sorgen gemacht wegen Beniaminos Verhalten, weil er gedacht habe, er sei verrückt geworden, obwohl er doch der Doktor war, und erst nach einer Weile, als Malfatti auf den Birnbaum geklettert sei, habe er begriffen, dass es sich um eine Art Spiel handelte, und da habe auch er einen Hinkenden spielen wollen, um den Schmerz in einem gebrochenen Bein zu spüren, wo er doch in Wirklichkeit immer heile Beine gehabt habe, so sagte er, während er sich die Hosen aufkrempelte, um dem Doktor mit einem gewissen Stolz seine Beine zu zeigen.
    Beniamino hörte Bardi zu und dachte, dass »Spiel« wirklich das richtige Wort war, denn während er so getan hatte, als würde er die Rosen essen, während er das Gewicht seines schleppenden Beins tausendmal schwerer hatte werden lassen, während er sich mit den anderen Verrückten vor dem Haus durch Gesten und Worte verständigt hatte, war es ihm wirklich so vorgekommen, als spielte er, als packte er die Ängste, die ihn seit seiner Kindheit begleiteten, um mit ihnen »Bäumchen, wechsle dich« zu spielen, um sie in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen, zu zerlegen und wieder zu einem Mosaik zusammenzufügen und sie endlich viel deutlicher vor sich zu sehen, als er es mit Hilfe von Worten gekonnt hätte. Dafür musste er sie aus den Tiefen seines Selbst hervorlocken und ausstellen, sie allen zeigen, sie zerpflücken und ausbreiten, um die Rolle des Beniamino, der er bis heute gewesen war, wirklichkeitsgetreu zu spielen.
    Dann war Marcella keuchend angelaufen, um ihm zu sagen, dass Renatina auf der Treppe saß, kein Wort sagte und sich nicht von der Stelle rühren wollte. Also war er von der Bank aufgestanden, wo er sich mit Bardi unterhalten hatte, und hatte sich neben Renatina auf die Treppe gesetzt. Die Frau hatte sich in sich selbst verkrochen, hielt den gesenkten Kopf zwischen den Knien verborgen und bedeckte ihn mit gekreuzten Armen wie eine Schildkröte, die sich vor der Welt schützt.
    Beniamino versuchte, sie zu streicheln, doch sie drückte den Kopf noch tiefer

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