Die Rettung
Platz. Die Magd hob seinen Arm leicht an und fuhr fort, die Wunde zu versorgen.
»Soldaten?« Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
»Nein. Eine Horde englischen Diebesgesindels. Ein paar Lowlandschotten waren auch dabei. Sie kamen auf Pferden und waren mit Musketen und Schwertern bewaffnet.«
»Könnten es nicht Highlander in englischer Kleidung gewesen sein?«
»Nein, sie sprachen wie englische Adelige auf einer Jagdgesellschaft. Außerdem hatten sie Pferde, prachtvolle Vollblüter, mit denen sie uns einfach über den Haufen ritten.«
Dylan glaubte nicht recht daran, dass tatsächlich vornehme Engländer bei dem Überfall mit von der Partie gewesen waren. Für seine Clansleute klang jeder englische Akzent nach Oberklasse. »Wie viele waren es?«, fragte er.
Gracie zuckte die Schultern. »Ungefähr fünfzig, würde ich sagen. Vielleicht auch weniger. Ich habe nicht daran gedacht, sie zu zählen.«
»Wo waren denn die Soldaten aus der Garnison zu der Zeit?«
Wieder hob Gracie die Schultern. »Jedenfalls nicht hier, so viel steht fest.«
»Bedford war nicht in der Garnison?« Dylan wusste, dass der Major nicht nach Inverness abkommandiert worden war, wo sich die englischen Truppen zum Kampf gegen die aufständischen Jakobiten versammelt hatten. Bedfords Männer waren auch nicht in Glen Shiel gewesen, sonst hätten sie nicht rechtzeitig nach Ciorram zurückkehren können, um Artair zu verhaften.
Gracie nickte. »Am Tag davor ist die ganze Garnison ausgerückt, auf Patrouille, nehme ich an. Wo genau sie waren, wissen wir nicht. Wir haben uns gefreut, sie für eine Weile los zu sein. Wer hätte gedacht, dass wir uns einmal wünschen würden, sie wären hier, um uns zu Hilfe zu eilen. Aber da keiner unserer eigenen Männer im Tal war ...« Sie brach ab, ihr Gesicht lief rot an.
Una, die bislang still auf einer Bank gesessen hatte, ergriff das Wort. Augenblicklich trat Stille ein. »Würden uns die Engländer nicht so unterjochen, wären unsere Männer nicht ausgezogen, um gegen sie zu kämpfen, und wir hätten uns nie wünschen müssen, die Armee des Feindes würde uns vor einer englischen Räuberbande beschützen. Dann wären nämlich unsere eigenen Männer hier gewesen, um unser Eigentum zu verteidigen.« Sie sprach leise, aber jeder in der Halle konnte ihre Worte verstehen. Dylan sah sie an. Der Kummer über den Verlust ihres Mannes hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben.
Mit weicher Stimme fragte er: »Wie ist Iain gestorben?«
»Mein Mann war der einzige Mann im kampffähigen Alter im ganzen Tal. Er hat sein Land und seine Leute verteidigt. Als er einen der Räuber verwundete, töteten sie ihn, genau wie Dùghlas' Frau und die von Keith Rómach, die ihre Kinder beschützen wollten.«
Dylan erbleichte. Langsam sah es so aus, als würden die Engländer doch noch den Sieg davontragen. So viele Mathesons hatten innerhalb so kurzer Zeit sterben müssen! Da der Überfall vor einer Woche stattgefunden hatte, lagen die Toten wohl schon auf dem Friedhof begraben. Coinneach würde sich irgendwann im Laufe der Nacht zu ihnen gesellen. Dylan fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, stützte einen Ellbogen auf sein Knie und starrte eine Weile blicklos vor sich hin.
Dann richtete er sich auf, straffte sich, streifte sein Hemd wieder über, zog seinen Mantel an und drapierte sein Plaid darüber. »Für uns alle gibt es jetzt viel zu tun. Die Felder müssen gepflügt, die Kinder versorgt, Torfballen für den Bau neuer Häuser gestochen und Nahrungsmittel sowie neues Vieh beschafft werden. Aber zuerst werden wir die Räuber aufspüren und Vergeltung üben.« Er wandte sich an Tormod. »Und wir werden Sarah wiederfinden. Lebendig.«
Die Reaktion seiner Clansleute verriet ihm, dass er die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte. Die Ehre des Clans konnte nur gewahrt werden, wenn die Verbrecher zur Rechenschaft gezogen wurden.
Als sich die Tür zum Turmgang öffnete, blickte Dylan auf. »Malcolm!« Alle Umstehenden drehten sich gleichfalls um. Malcolm kam langsam in die große Halle geschlurft, dabei stützte er sich schwer auf seinen Stock. Jeder Schritt schien ihm große Schmerzen zu verursachen. Die in der Halle versammelten Mathesons machten ihm ehrerbietig Platz, als er auf Dylan zuging.
Dylan erhob sich. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er sah, dass der alte Mann das Wehrgehenk in der Hand hielt, in dessen Scheide das Schwert mit dem silbernen Heft steckte, das einst König James gehört
Weitere Kostenlose Bücher